
Als Amber Rudd im vergangenen Jahr von der Universität Oxford „gecancelt“ wurde, sorgte das in vielen Kreisen für einen Aufschrei. Hier wurde immerhin die ehemalige konservative Innenministerin kurz vor dem Beginn einer Veranstaltung von Uni ausgeladen. Als Grund führte man ihre Rolle im Windrush-Skandal an: Nachfahren karibischer Einwanderer wurden nicht mehr als britische Bürger, sondern als illegale Immigranten betrachtet und behandelt.
Kritiker bewerteten Absage von Rudds Besuch auf Druck von Studierenden als weitere Schlacht im „Kulturkrieg“, der im Streit um Denkmäler und sogenannte Cancel Culture an britischen Hochschulen seit Jahren neue Eskalationsstufen erreicht. Es geht um die Frage, ob Politiker, Wissenschaftler oder Personen des öffentlichen Lebens wirklich zunehmend ausgegrenzt werden, wenn sie nicht ins Wertemuster der Studenten passen. Insbesondere das „No-platforming (die Plattform nehmen)“ steht im Fokus, das Phänomen, dass Veranstaltungen auf dem Campus durch Aktivisten gestört oder Redner ausgeladen werden.
Anfang Februar sorgte abermals ein College der Universität Oxford für Schlagzeilen, weil es den berühmten Regisseur Ken Loach eingeladen hatte. Der Schritt löste lautstarke Proteste unter jüdischen Studenten aus. Sie werfen ihm Antisemitismus vor und forderten, seinen Auftritt abzusagen. Loach ist Kritiker der israelischen Regierungspolitik und Unterstützer des linken Labour-Flügels in Großbritannien. Der Vortrag fand trotzdem statt. Im Anschluss entschuldigte sich die College-Präsidentin bei den jüdischen Studenten. Mit dieser Episode bekam die Debatte auf der Insel neues Futter.
Ist tatsächlich die Redefreiheit an den britischen Hochschulen in Gefahr? 2019 bejahten das einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov 52 Prozent der Briten. Die konservative Regierung ist ebenfalls dieser Meinung – und will eingreifen. So warnte Bildungsminister Gavin Williamson jüngst vor „einer sehr realen und alarmierenden Gefahr von Zensur und ‚Cancel Culture‘ an unseren Universitäten“. Er will deshalb sowohl ein neues Gesetz auf den Weg bringen und auch einen Streiter für die Meinungsfreiheit ernennen. Es sind auch Bußgelder vorgesehen. Zudem sollen gemobbte Redner, Studenten und Akademiker das Recht erhalten, auf Schadenersatz zu klagen.
In konservativen Zirkeln fordert man einen Schutz vor militanten Linken und dem „Woke Mob“, wie einige die Aktivisten bezeichnen, die unter anderem ein Bewusstsein für Rassismus, Sexismus, Ungleichheit und Unterdrückung schaffen wollen. Studentenvereinigungen sehen dagegen kein echtes Problem von politisch korrekter Bevormundung an ihren Hochschulen. Es gebe „keinerlei Belege” einer Krise der Meinungsfreiheit, heißt es dazu von der National Union of Students. Tatsächlich kommen die Vorfälle deutlich seltener vor, als von der Öffentlichkeit vermutet wird. Zahlen belegen das.
Trotzdem wäre es falsch, die Klagen der Betroffenen zu ignorieren. Im Königreich war der Brexit-Anführer Nigel Farage davon betroffen, aber auch der umstrittene Psychologe Jordan Peterson, der gerne gegen Feminismus polemisiert. Für Aufsehen sorgten vor allem die Ausladungen von Akademikern, die in der Transgender-Debatte die Meinung vertraten, dass die biologischen Unterschiede zwischen Frau und Mann nicht eine Frage der persönlichen Wahl seien.
Die Herausforderung an den Universitäten ist komplex, weshalb die Maßnahmen der Regierung auch mehr als politischer Opportunismus, denn als Lösung des Problems daherkommen. Die Universitäten und ihre Studenten sind gefragt. Es ist ein bedeutender Faktor der Demokratie, dass an Hochschulen viele Meinungen aus jedem Spektrum ihren Raum finden und zur Diskussion gestellt werden. Dieser wichtige Pfeiler für die Gesellschaft darf nicht bröckeln. Aber es muss auch klare Grenzen geben. Etwa dann, wenn Redner ihre Meinungsfreiheit dazu nutzen, die Freiheiten anderer Menschen einzuschränken, indem sie Homophobie, Antisemitismus oder Rassismus befeuern.
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