
Zum Beginn des Superwahljahres haben die Baden-Württemberger und Rheinland-Pfälzer neue Landtage gewählt. Sowohl in Stuttgart als auch in Mainz können Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und die Sozialdemokratin Malu Dreyer ihre Amtsgeschäfte weiterführen. Die Frage ist, in welchen Koalitionen. Die Ergebnisse der beiden Landtagswahlen sind schon deshalb historisch, weil sie unter Pandemiebedingungen abgehalten wurden. Der Anteil der Briefwählerschaft war erwartungsgemäß hoch, die Wahlbeteiligung insgesamt sank in beiden Ländern von um die 70 auf rund 65 Prozent. Zudem fiel der Wahlkampf coronabedingt ganz anders aus: Videokonferenz statt Marktplatz, Mundschutz statt Handschlag.
In Rheinland-Pfalz bleiben die Sozialdemokraten mit 36 Prozent etwa so stark wie 2016. Die CDU und ihr Spitzenkandidat Christian Baldauf fährt mit unter 30 Prozent heftige Verluste ein. Die Grünen haben sich mit rund acht Prozent deutlich verbessert, die FDP landet über fünf Prozent. Die AfD verschlechtert sich um drei auf rund neun Prozent. Erstmals werden die Freien Wähler im Mainzer Landtag vertreten sein. Damit weist einiges darauf hin, dass die zuletzt regierende Ampelkoalition unter SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer ihre Arbeit fortsetzen wird. Das Regierungsbündnis hatte so gut funktioniert, dass ihre Spitzenkandidatinnen Malu Dreyer, Anne Spiegel von den Grünen und FDP-Frau Daniela Schmitt dieses pragmatische Bündnis zuletzt sogar für die Bundespolitik empfohlen hatten.
Applaus bei den Grünen – Stille bei der CDU um Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann. Das ist die Situation in Stuttgart, als am Sonntagabend die ersten Prognosen für Baden-Württemberg bekannt werden. Es ist nun an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), die Weichen für die kommenden fünf Jahre zu stellen. Kretschmann, der das 30-Prozent-Ergebnis von 2016 noch einmal leicht verbessern konnte, bedankt sich bei seinen Wählerinnen und Wählern und versichert, weiterhin Ökologie und Wirtschaft zum Wohle des Landes zu verbinden.
Ob der 72-Jährige noch einmal mit der CDU regiert oder sich andere Partner sucht, wird in Berlin sehr genau beobachtet. Dort stehen die Zeichen seit Längerem auf Schwarz-Grün – aber nach den Skandalen in der Union könnte die Ökopartei im Herbst in die Situation kommen, die Regierungsbildung zu gestalten. Grünen-Bundeschef Robert Habeck gibt sich entsprechend selbstbewusst. „Wir werden den Wind mit vollen Segeln aufnehmen“, sagt er in Berlin. Die Ergebnisse im Südwesten des Landes seien ein Mandat für lösungsorientierte Politik. Seine Partei sehe deutlich das bröckelnde Vertrauen in die Politik, daran seien maßgeblich das schlechte Krisenmanagement der Großen Koalition und die Affären innerhalb der Union schuld. „Unsere Aufgabe ist es, dieses Vertrauen neu zu erwerben.“ Das klingt nicht nach einer ökologisch-konservativen Koalition im Bund.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz leitet vor allem aus dem Ergebnis von Rheinland-Pfalz einen politischen Gestaltungsauftrag ab. "Das ist in der Tat Rückenwind für die Bundestagswahl und für unser Ziel, ins Kanzleramt zu kommen." Der CDU-Generalsekretär versucht gar nicht erst, die Ergebnisse der Landtagswahlen zu beschönigen. Paul Ziemiak sagt, nun gehe es um die Fragen: "Wo können wir besser werden? Wo können wir pragmatischer handeln?“. In der Bevölkerung wüchsen "der Unmut und auch das Unverständnis über das Corona-Krisenmanagement". Eine bundespolitische Signalwirkung der Landtagswahlen will Ziemiak gleichwohl nicht erkennen. "Es waren keine Testwahlen", betont er.
FDP-Chef Christian Lindner freut sich sichtlich über den „starken Aufschlag“ für das Wahljahr. In Rheinland-Pfalz sei erstmals eine Ampelkoalition bestätigt worden, das sei ein Auftrag der Wählerschaft. Es sei ein schwieriger Wahlkampf gewesen, die Pandemiepolitik habe „viele Innovationsfragen überlagert“. Trotz aller Schwierigkeiten habe sich für die FDP ein wachsender Zuspruch ergeben.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Bundestag, Bernd Baumann, bezeichnet die Verluste der CDU bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg als Folge von Zusammenarbeit der Union mit den Grünen. „Was ganz deutlich als Signal für die Bundestagswahl abzulesen ist, ist folgendes: Dass die CDU, wenn sie sich mit den Grünen ins Bett legt, mit den Grünen Koalitionen macht, grüne Themen aufgreift – dann geht sie unter, dann macht sie die Grünen stark“, so Baumann am Sonntagabend.
Die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann haben die Landtagswahl in Baden-Württemberg klar gewonnen. Nach Auszählung aller Wahlkreise kommen die Grünen auf 32,6 Prozent - nach Angaben des Statistischen Landesamts ein Plus von 2,3 Punkten im Vergleich zur Wahl 2016. Die bisher mitregierende Südwest-CDU stürzte am Sonntag in ihrer einstigen Hochburg auf das schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte. Sie erreichte nur noch 24,1 Prozent - 2,9 Punkte weniger als vor fünf Jahren. Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann steht vor dem politischen Aus.
Die AfD kommt auf 9,7 Prozent - ganze 5,4 Punkte weniger als 2016. Die SPD kommt auf 11 Prozent (-1,7), die FDP auf 10,5 (+ 2,2 Punkte). Die Linken erreichte 3,6 Prozent (+0,7 Punkte) und schafft es damit erneut nicht in den Landtag.
Die Grünen können sich mit dem Rekordergebnis die Koalitionspartner aussuchen. Die grün-schwarze Koalition könnte zwar weiterregieren, die Grünen haben aber auch die Möglichkeit, mit SPD und FDP ein Ampel-Bündnis zu bilden. Für eine Neuauflage der grün-roten Koalition gibt es nach dem vorläufigen Ergebnis ganz knapp keine Mehrheit.
Vom Testlauf zum Stresstest
Eigentlich waren die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als Testlauf für die CDU und ihren neuen Bundesvorsitzenden Armin Laschet geplant. Unverhofft sind sie jedoch zum Stresstest geworden. In der Woche vor dem Wahltermin war bekannt geworden, dass Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU in dubiose Geschäfte verwickelt sein sollen. Zwei Parlamentarier mussten die Unionsfraktion verlassen, weil sie oder ihre Firmen für die Vermittlung von Corona-Schutzmasken hohe Provisionen erhalten hatten. Einer von ihnen, Nikolas Löbel, kommt aus dem baden-württembergischen CDU-Landesverband. Er soll für die Vermittlung von Atemschutzmasken eine Viertelmillion Euro kassiert haben. Zugleich veröffentlichte die Fraktionsspitze einen Zehn-Punkte-Plan für mehr Transparenz. Die Bremer Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann erklärte dazu gegenüber dem WESER-KURIER, sie begrüße, dass die Transparenzvorschriften im Abgeordnetengesetz verschärft werden sollen. „Ziel muss es sein, diese in zehn Punkten aufgelisteten Regelungen schnellstmöglich gesetzlich umzusetzen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.“
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.