
Für Jugendliche scheint die Lage auf dem Ausbildungsmarkt glänzend: Mehr Lehrstellen als Bewerber, Betriebe suchen verzweifelt Azubis. Die Arbeitsagentur meldet zur Ausbildungsbilanz 2018: „Weniger unversorgte Bewerber bei deutlich mehr unbesetzten Ausbildungsplätzen.“ Wer eine Lehrstelle will, bekommt sie auch – so das öffentliche Bild. Es deckt sich nur nicht mit den Erfahrungen der meisten Jugendlichen und vieler Lehrkräfte.
Warum? Die Tatsachen sind andere: Zu 93 Prozent besetzt wurden in Bremen die 4856 über die Arbeitsagentur angebotenen Stellen. Die Klage über freie Lehrstellen wird von der Wirtschaft deshalb gerne mit nicht gemeldeten Stellen begründet. Der „Vorteil“ dieses Arguments: Keine Institution hält deren Anzahl fest. Warum aber bei einer Erfolgsquote von 93 Prozent Azubis nicht über die Agentur gesucht werden, bleibt unklar. Sind deren Bewerber alle zu schlecht? Nein: Nur 1,5 Prozent der Bewerber hatten keinen Abschluss, etwa 30 Prozent den Hauptschulabschluss und mehr als 60 Prozent Realschulabschluss, Fachhochschulreife oder Abitur.
Doch von 4716 Bewerbern sind nur 1818 (38,5 Prozent) in Berufsausbildung „eingemündet“, wurden mit einem Ausbildungsplatz „versorgt“. Ganze 80 Bewerber haben ein Studium begonnen. 2800 erfasste ausbildungsinteressierte junge Menschen im Land Bremen wurden zwar „versorgt“, landeten aber im Übergangssystem, in Fördermaßnahmen und begannen Jobs, gut 1400 verschwanden „ohne Angabe eines Verbleibs“ aus der Statistik. Man fragt sich, wie die etwa 2700 Lehrstellen besetzt wurden, in die keine Bremer Bewerber einmündeten. In den letzten fünf Jahren wurden etwa 2200 Lehrstellen mit Bewerbern aus dem Umland besetzt.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat ermittelt, dass jährlich etwa 3000 Bremer Jugendliche auf der Strecke bleiben, weil der regionale Ausbildungsstellenmarkt „nach wie vor sehr ungünstig ist“. Die „Bremer Vereinbarung“ von Wirtschaft und Politik ist mit ihrem Ziel gescheitert, 2017 in Bremen 7800 Ausbildungsplätze zu schaffen, weil die Wirtschaft zu wenige Lehrstellen anbot. Aus diesem Grund konnte der Senat sein Versprechen einer Ausbildungsgarantie nicht halten.
Der Senator dachte deshalb über eine Umlage nach, bei der nichtausbildende Betriebe die Ausbildenden unterstützen. Das klappt im Bereich Bau und Altenpflege. Wenn 3000 Bremer Jugendliche ohne Lehrstelle kein Wahlkampfthema sein sollten, wann dann? Erst wenn sie im großen Pool mit einem Dasein in „verfestigter Armut“ landen?
Unser Gastautor Hans-Wolfram Stein ist pensionierter Lehrer für Politik und Wirtschaft. Er arbeitete an der Bremer Gesamtschule Ost. Außerdem wirkt er an verschiedenen pädagogischen Schulprojekten mit.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.