
Die neuen Spannungen um das Konfliktgebiet Donbass im Osten der Ukraine lassen Russlands Patrioten frohlocken. Sie hoffe, dass die US-Medien mit ihren Behauptungen recht haben, wonach 4000 russische Soldaten an der Grenze der Ukraine aufgezogen seien, sagte die Chefredakteurin des Kreml-Fernsehsenders RT, Margarita Simonjan, dieser Tage. Zwar bestätigte Russland die Truppenstärke nicht. Aber immerhin sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow, Russland halte seine Militärpräsenz dort so lange, wie es der Generalstab und der Oberkommandierende, also Präsident Wladimir Putin, für nötig hielten.
Putins wichtige Propagandistin Simonjan wiederholte nach einem Besuch im Donbass, dass es Zeit sei, die Regionen Luhansk und Donezk heim ins Reich von „Mütterchen“ Russland zu holen. Zwar wies Putins Sprecher Peskow das prompt zurück. Es gebe keine Pläne, die selbst ernannten Volksrepubliken in das russische Staatsgebiet aufzunehmen. Klar ist aber auch, dass Moskau die von der Ukraine abtrünnigen Regionen nicht ihrem Schicksal überlässt.
Seit vor sieben Jahren dort am 14. April mit Beginn einer ukrainischen Anti-Terror-Operation der Krieg ausbrach, läuft in den von Separatisten kontrollierten Regionen vieles wie in Russland. Der Rubel ist offizielles Zahlungsmittel, nur Russisch ist noch Amtssprache. Zwar besitzen die meisten Bewohner noch den ukrainischen Pass. Doch haben sich inzwischen Hunderttausende einen Ausweis in einer der beiden „Volksrepubliken“ ausstellen lassen. Mehr als 400.000 Menschen haben nach Putins Angebot nun einen russischen Pass.
„Ich möchte betonen, dass der Donbass keinen Krieg will. Und der Donbass wird auch keinen Krieg beginnen“, sagt der Anführer der „Volksrepublik“ Donezk, Denis Puschilin. Er beschreibt die Lage an der Front als „ziemlich unruhig“. Und er beklagt, dass die Ukraine ihre Truppen für neue Kämpfe aufstelle.
Tatsächlich verwiesen zuletzt auch die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Region auf wachsende Aktivitäten beider Konfliktseiten. Im Februar und März kursierten in den sozialen Netzwerken Videos von ukrainischen Zügen, die mit Panzern und anderen Militärfahrzeugen beladen nach Osten fuhren. Am vergangenen Sonntag präsentierte das ukrainische Militär zudem ein Video von Übungen der Panzerreserve im Luhansker Gebiet, nicht weit von der Front entfernt.
Vor allem aber die jüngsten Meldungen über getötete ukrainische Soldaten lenken die westliche Aufmerksamkeit auf den Konflikt mitten in Europa. Mehr als 13.000 Menschen kamen dort bisher nach Angaben der Vereinten Nationen ums Leben. Das Kommando der US-Streitkräfte in Europa (EUCOM) betrachtet die Lage seit Kurzem nicht mehr nur als „mögliche Krise“, sondern als „potenziell unmittelbar bevorstehende Krise“.
Nach Meinung vieler Beobachter in der Ukraine ist das auch im Sinn des ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj. Bei seiner Wahl vor zwei Jahren versprach er, den Konflikt friedlich zu lösen. Erfolge kann der frühere Schauspieler aber bisher nicht vorweisen. Mehr als 40 Prozent der Ukrainer bekannten sich in einer Umfrage zur Umsetzung des 2015 unter Vermittlung von Bundeskanzlerin Angela Merkel erreichten Minsker Friedensplans. Der Plan umfasst neben der Waffenruhe eine Entmilitarisierung der Front, eine Amnestie für die Separatisten, Wahlen in den abtrünnigen Gebieten und die Gewährung einer Autonomie. Für eine militärische Rückeroberung der Region ist nur knapp ein Fünftel der Bevölkerung.
Der ukrainische Armeechef Ruslan Chomtschak ist überzeugt, dass Selenskyj kein Problem damit habe, eine neue Offensive im Donbass zu befehlen. Gegen die derzeitigen Kräfte der moskautreuen Separatisten rechnet er sich Siegchancen aus, wie er sagte. Allerdings weiß auch Chomtschak, dass Russland einer militärischen Lösung nicht zusieht. Wenn die Separatistenführungen in den Großstädten Luhansk und Donezk zum Schutz ihrer neuen russischen Staatsbürger im Donbass Moskau offiziell um Hilfe anriefen, wäre Putin im Zugzwang. Der 68-Jährige ist bekannt dafür, dass er keinen Konflikt scheut. Russland sieht sich unter Putin längst wieder als selbstbewusste und mit modernsten Atomwaffen hochgerüstete militärische Großmacht - auch wenn der frühere US-Präsident Barack Obama das Land einmal als regionalen Player abtat.
Ungeachtet hoher Kosten entriss Russland 2014 der Ukraine die Schwarzmeer-Halbinsel Krim, führt bis heute Krieg in Syrien und weitete auch seine Präsenz etwa in der Arktis aus, wo es Anspruch auf Bodenschätze erhebt. 2008 wies Russland den Nachbarn Georgien in die Schranken, als sich die Südkaukasusrepublik mit Gewalt ihre abtrünnige Region Südossetien zurückholen wollte. Russland stationierte dort und in Abchasien nicht nur Tausende Soldaten. Es erkannte beide Regionen auch als unabhängige Staaten an.
Russische Kommentatoren betonen seit Langem, dass solch ein Szenario wie in Georgien oder auf der Krim auch im Donbass möglich wäre. Schon jetzt gilt als gesichert, dass aus Russland nicht nur Waffen und Munition in die Region gelangen, sondern auch Söldner. Der Donbass sei für Russland vor allem als Druckmittel gegen die ukrainische Führung nützlich, aber auch zur Lösung demografischer Probleme, wie die Denkfabrik Moskauer Carnegie Center schreibt. Russland erhalte aus der Ukraine weiter eine große Anzahl Migranten.
Für die EU und die USA wird der Konflikt zwischen Moskau und Kiew so oder so wieder zum Testfall für die Beziehungen zu Russland. Präsident Selenskyj musste zuletzt lange auf ein Telefonat mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden warten, der als Freund der Ukraine gilt. Biden sicherte, wie die Nato, der Ex-Sowjetrepublik Solidarität zu. Außerdem liefern die USA Waffen in das Land.
Doch auf einen offenen Konflikt mit der Atommacht Russland dürfte sich weder in Washington noch im Nato-Hauptquartier in Brüssel jemand einlassen. Ein Grund ist, dass die Ukraine bis heute nur Partnerland und kein Mitglied im Verteidigungsbündnis ist. Niemand könne ein Interesse daran haben, wegen eines Regionalkonflikts einen Dritten Weltkrieg zu riskieren, heißt es in Diplomatenkreisen.
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