
Erinnert sich eigentlich noch jemand an die Initiative der neuen Verteidigungsministerin vor einem Monat? Annegret Kramp-Karrenbauer schlug damals einen international gesicherten Zonenstreifen zwischen der Türkei und Syrien vor. Eine deutsche Beteiligung stellte sie zwar nicht explizit in Aussicht, doch innerhalb eines Blauhelmeinsatzes sollten wohl auch deutsche Soldaten dort Dienst tun. Die Idee verblüffte, da sie völlig überraschend aus Deutschland kam, ohne vorige Absprache mit anderen europäischen Staaten – ein unüberlegter Schnellschuss. Und was Schnellschüsse so an sich haben: Sie verpuffen genau so schnell, wie sie abgefeuert werden. Denn als die Initiative ausgesprochen wurde, waren schon längst Tatsachen geschaffen. Kramp-Karrenbauer kam zu spät. Wie war das noch mal? Wer zu spät kommt...
Rückblickend kann man sagen, dass die Initiative der deutschen Verteidigungsministerin ein letztes Zappeln des im Sterben begriffenen Einflusses der EU-Europäer in Syrien war. Europa hat dort nichts mehr zu sagen. Auch die Franzosen, einstige Kolonialmacht des Landes, sind außen vor, seitdem sich der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan und Russlands Wladimir Putin geeinigt haben. Das Fazit der Einigung: Erdogan erkennt Assad als Herrscher an.
Genau damit hat niemand gerechnet, da gerade der Türke sich als vehementester Gegner des Diktators in Damaskus auswies. Früher als alle anderen forderte er den Rücktritt Assads, unterstützte die Rebellen gegen ihn – und damit auch die Terrormiliz Islamischer Staat. Als türkische Journalisten über Waffenlieferungen seitens Ankaras an die Rebellen in Syrien berichteten, warf man sie zwar ins Gefängnis oder trieb sie außer Landes. Doch war es ein offenes Geheimnis, dass Erdogan eindeutig auf der Seite der Gegner Assads stand und sie nach Kräften unterstützte. Jetzt also die Kehrtwende.
Ein sogenanntes Memorandum of Understanding zwischen Moskau und Ankara gibt die Richtung klar vor – und die Folgen sind weitreichend. Die Türkei erkennt die „politische Einheit und territoriale Integrität“ Syriens an. Mit anderen Worten: Erdogan, der in den ersten Kriegsjahren alles daran gesetzt hat, Assad zu stürzen, akzeptiert den Despoten als rechtmäßigen Herrscher über Syrien.
Das Faustpfand für Putin, den Sultan am Bosporus auf seine Linie zu ziehen, sind die Kurden. Sie sind das Opfer dieses Memorandums. Ihr vom IS erobertes und inzwischen selbstverwaltetes Territorium entlang der türkischen Grenze wird nun aufgeteilt zwischen Damaskus und Ankara.
Dazu geführt hat ein zweiter, unüberlegter Schnellschuss. Dieses Mal aus Washington. Zwar hat US-Präsident Donald Trump schon vor einem Jahr den Abzug der US-Truppen aus dem syrischen Norden verkündet, ruderte aber angesichts der Bedrohungslage immer wieder zurück. Nun hat er den dritten Anlauf genommen, die Jungs nach Hause zu holen – und damit Erdogan und Putin in die Hände gespielt. Dass Trump jetzt eigennützig die Ölfelder um Deir ez-Zor nahe der irakischen Grenze „beschützen“ lässt, hat einen ganz einfachen Grund. Der Irak wollte die US-Soldaten nicht haben, die aus Syrien abgezogen wurden. Also platziert man sie eben in Grenznähe.
Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Amerikaner raus sind aus Syrien. Russland ist die neue Ordnungsmacht. Europa und die USA spielen keine Rolle mehr. Sie haben es kläglich versäumt, rechtzeitig mit den Kurden zusammen ein Gegengewicht zu schaffen und damit eine Alternative zu Russland anzubieten.
Das Versagen des Westens in diesem Krieg hat vor allem für die Zivilisten verheerende Folgen. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht, davon die Mehrheit innerhalb des Landes. Zwei Drittel aller Syrer haben ihren Job oder ihre Erwerbsquelle verloren, 85 Prozent der Menschen in Syrien leben in Armut. Syrien ist abgestürzt vom Rang eines Landes mittlerer Entwicklung wie Indonesien auf einen der schlechtesten Plätze im Uno-Ranking hinter Sudan und Afghanistan.
Was Erdogan und Putin ausgehandelt haben, wird Europa ausbaden müssen, ohne Einfluss auf den Lauf der Dinge, ohne Mitsprache bezüglich der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Europäer sind Zaungäste. So werden die vielen Syrer, die in der EU und hier vor allem in Deutschland Zuflucht gefunden haben, nicht zurückgehen, wie es ursprünglich vorgesehen war und propagiert wurde. Sie werden bleiben. Und mit ihnen die ganze Tragödie ihres Heimatlandes.
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