
Es ist schon verstörend, mit welcher Selbstverständlichkeit über soziale Ungerechtigkeiten hinweggegangen wird, die die Pandemie mit sich bringt und teilweise verschärft. Dazu gehören beengte Wohnverhältnisse. Dazu zählt, dass Menschen mit niedrigem Einkommen meist keine oder geringe Rücklagen haben, um Krisen zu überstehen – beispielsweise, wenn ihr Minijob dem Lockdown zum Opfer gefallen ist. Weder mehr Wohnungen noch Arbeitsplätze lassen sich im Handumdrehen organisieren. Anders sieht es beim Selbstschutz durch FFP2-Masken aus.
Der Kauf solcher Masken belastet das Budget, selbst wenn sie beim Discounter für einen Euro ergattert werden. Wenn kleinere Ausgaben außer der Reihe nicht drin sind – und das ist Realität in vielen deutschen Haushalten –, ist die Anschaffung von genügend FFP2-Masken ein Problem. Die Krankenkassen tragen die Kosten nicht, Prävention hin oder her. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will wegen „Corona-bedingter Belastungen“ Grundsicherung und Hartz-IV bezuschussen. Die Kanzlerin verschob das Thema erst einmal in die Zukunft.
Der Bremer Senat schafft Fakten. Sein Entschluss, alle Bremerinnen und Bremer auf Staatskosten auszustatten, ist richtig, wichtig, lobenswert, vorbildlich. Dass es dazu erst der erweiterten Maskenpflicht bedurfte – geschenkt. Dass alle Bremer bedacht werden, nicht nur diejenigen, die diese Hilfe wirklich brauchen, kann als Signal aufgefasst werden: Die Landesregierung lässt nichts unversucht, um ihre Bürger so gut es geht zu schützen – ob das mit der Corona-Schulpolitik zusammenpasst, ist ein anderes Thema. Wenn der Bremen-Fonds diese Kosten nicht abdeckt, was dann?
Damit wird Rot-Grün-Rot den eigenen Ansprüchen gerecht, in einer Weise, die vorherige, auch rot-grüne Landesregierungen vermissen ließen. In der Präambel zum aktuellen Koalitionsvertrag heißt es, aus dem Wahlergebnis entstehe die Verpflichtung, „alles Nötige zu tun, um (...) soziale Ungleichheit zu bekämpfen (...)“. Es reicht nicht, wortreich zu beklagen, wie sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter spreizt. Dieses Mal lässt Rot-Grün-Rot Taten folgen, und es drängt sich die Vermutung auf, dass die Regierungsbeteiligung der Linken Einfluss gehabt haben könnte: Sie fordern schon seit Längerem, dass die in den Hartz-IV-Sätzen für Hygieneartikel eingeplanten 17 Euro für Corona-Schutz nicht ausreichen.
Die Pandemie macht allen zu schaffen, vielen finanziell, manchen mehr als anderen – nicht nur, aber auch jenen, die sich ohnehin zur Decke strecken müssen. Die Corona-Krise verdeutlicht soziale Unterschiede: Viele Bürger sehnen sich danach, mal wieder Essen, ins Kino oder Theater zu gehen oder rauschende Feste zu feiern. Andere bedauern, in dieser Saison nicht in den Skiurlaub fahren zu können, oder hoffen darauf, dass der Impfschutz sie aufs Neue in die Ferne schweifen lässt.
Dagegen ist nichts zu sagen. Doch wie wirken Debatten über Reisebeschränkungen auf Menschen, deren Leben von Verzicht bestimmt ist? Die Bertelsmann-Stiftung hat unlängst zusammengefasst, was für Familien im sogenannten SGB II-Bezug wie selbstverständlich finanziell nicht drin ist: Bei zwei Dritteln ist ein einwöchiger Urlaub undenkbar. Bei 43 Prozent kommt es nicht infrage, sich einmal im Monat in einem Restaurant beköstigen zu lassen.
In Niedersachsen ist es bislang nicht geplant, FFP2-Masken auf Staatskosten anzuschaffen und in der Bevölkerung zu verteilen. Nicht von ungefähr sind die Vertreter von Bund und Ländern davor zurückgeschreckt, dem bayerischen Beispiel zu folgen und eine FFP2-Maskenpflicht im Nahverkehr und in Geschäften einzuführen. Stattdessen reichen künftig auch einfache OP-Masken aus, um den Auflagen Genüge zu tun.
Es ist unerhört, Hartz-IV-Empfänger auf diese Weise abzuspeisen, statt sie so auszustatten, dass sie sich selbst bestmöglich vor einer Ansteckung schützen können. Um ein afrikanisches Sprichwort abzuwandeln: Der beste Zeitpunkt, um FFP2-Masken an Menschen mit geringem Einkommen zu verteilen, war im Herbst. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.