
Es ist unvorstellbar und unfassbar. Tausende Missbrauchsfälle, begangen von mehr als 300 Kriminellen im Priestergewand. Das ist die Bilanz des Berichts einer Grand Jury im US-Bundesstaat Pennsylvania. Wieder einmal zeigt sich eine Kultur des Vertuschens, die auch in Deutschland lange prägend für die katholische Kirche war: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Die Kleriker bleiben lieber unter sich, statt sich an den Staat und seine Behörden zu wenden. Kriminelle Priester werden in eine Therapie geschickt oder in eine andere Gemeinde versetzt, statt sie hinter Gitter zu bringen. Es sind ja schließlich Brüder in Christus.
Auch in Deutschland ist die katholische Kirche noch stark mit der Aufarbeitung befasst. Während der diesjährigen Herbstvollversammlung wird beispielsweise ein Bericht zum Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ erwartet. Was bei dieser Untersuchung herauskommt, dürfte nicht sonderlich ruhmreich werden.
Als vor zwei Jahren die Methodik und einige Zwischenergebnisse der Studie vorgestellt wurden, war bekannt geworden, dass man sich für das Projekt eine quantitative Analyse aller Personalakten aller Priester, die im Jahr 2000 noch lebten, aus 18 der 27 deutschen Diözesen vorgenommen hatte. Und schon mit den Zwischenergebnissen waren erhebliche Zweifel am emotionalen und sexuellen Reifegrad mancher Priester aufgekommen.
Deswegen wird sich die katholische Kirche auch im Herbst die Frage stellen lassen müssen, ob sie wirklich immer geeignete Kandidaten in ihre Priesterseminare aufgenommen hat. Steckte wirklich immer, wenn sich junge Männer für ein Leben im Zölibat entschieden hatten, ein hehres Motiv dahinter? Wollten sich die jungen Leute wirklich immer mit ihrem ganzen Leben auf Christus und den priesterlichen Dienst konzentrieren? Oder stand der eine oder andere vielleicht vor ganz anderen Problemen?
Es ist jedenfalls gut, dass der Umgang mit der eigenen Sexualität in den letzten Jahren stärker als früher zum Thema der Priesterausbildung geworden ist. Doch das reicht noch nicht. Auch wenn vielen konservativen Katholiken diese Aussage nicht gefallen wird: Die Kirche muss sich als Ganze mit der Frage auseinandersetzen, welche Rolle Sexualität in ihrem Alltag spielt. Selbst „heiße Themen“, wie der Zölibat, der Umgang mit Homosexualität oder das Frauenbild der Kirche gehören weiter, nachdrücklich und prioritär auf die Tagesordnung.
Immerhin muss man zugestehen, dass sich in der katholischen Kirche in Deutschland in den vergangenen acht Jahren das Problembewusstsein gesteigert hat. Maßgeblich dazu beigetragen hat ihr Missbrauchsbeauftragter, der hoch engagierte Trierer Bischof Stephan Ackermann. Und auch die von der Bischofskonferenz in Auftrag gegebene Studie zeugt davon. Ihre bloße Existenz ist ein Beleg dafür, dass man das Thema ernst nimmt.
Ein Skandal wie in Pennsylvania wäre in Deutschland heute wohl nicht mehr möglich. Seit der Jesuitenpater Klaus Mertes im Jahr 2010 mit seinem Brief an die ehemaligen Schüler des Berliner Canisius-Kollegs zum ersten Mal über den Missbrauchsskandal in der Kirche in Deutschland sprach, sind die Katholiken in der richtigen Richtung unterwegs. Verglichen mit anderen Trägern der Kinder- und Jugendarbeit ist ihre Präventionsarbeit streckenweise sogar vorbildlich.
Auf der Weltebene allerdings muss Mertes’ Ordensbruder Papst Franziskus weiter durchgreifen. Dass wichtige Vertreter des Vatikan wie der australische Kardinal und Wirtschaftsexperte George Pell selbst in Missbrauchsverfahren stecken, macht deutlich, wie viel bei diesem Thema noch aufzuarbeiten ist. Es ist deswegen gut, dass Franziskus offiziell eine Null-Toleranz-Politik bei sexuellem Missbrauch verfolgt. Dass er diesen Kurs nicht immer hält, zeigt das Verhalten des Papstes beim Missbrauchsskandal in Chile. Viel zu lange glaubte Franziskus da einem Bischof, der selbst belastet war – und sprach sogar von „Verleumdung“. Erst spät schwenkte er um.
So etwas darf nicht mehr passieren. Missbrauchstäter dürfen in der katholischen Kirche keinen Rückzugsraum mehr finden. Sie müssen zur Verantwortung gezogen werden, ungeachtet ihrer Stellung und welche Leistungen sie vorzuweisen haben. Denn nichts ist im Umgang mit sexuellem Missbrauch so fehl am Platze wie klerikaler Standesdünkel und falsche Solidarität.
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