
Der Ort wurde einmal für kriegerische Zeiten gebaut, doch friedlicher ließe er sich heute kaum vorstellen. Wo einst Soldaten untergebracht waren, ruhen inzwischen Käselaibe. Schwer und dick, groß und rund. Hunderttausende Exemplare der Sorte Comté sind es, die im Fort Saint Antoine, einer ehemaligen Festung im französischen Jura, ihrer perfekten Reife harren. Das dauert – ein, zwei, manchmal drei Jahre. „Besser langsam und bedacht als schnell und billig“, sagt Claude Querry, Chef des Reifekellers. Eine seiner Aufgaben besteht darin, den ganzen Tag über Käse zu verkosten, um den aktuellen Reifestand zu kennen – erst klopft er auf einen Laib, horcht, schnitzt dann mit einem kleinen Messer eine Scheibe heraus, probiert und notiert seine Erkenntnisse in Hieroglyphen, die nur er und seine fünf Kollegen verstehen, die wie er als Verkoster arbeiten. Auch die Farbe spielt eine Rolle, um zu erkennen, wie weit der Käse schon ist: „Der Comté ist ein lebendiges Produkt, das sich entwickelt.“ Einmal pro Woche wird jedes Exemplar mithilfe von Robotern gewendet.
Querry gibt auch kostenlose Führungen für Besucher, rund 20.000 sind es pro Jahr, denen er die Geschichte des Fort Saint-Antoine, aber auch dieses würzigen Hartkäses allgemein erzählt. „Im Mittelalter siedelten sich Vertriebene in den Bergen an, die im Sommer für die harte Winterzeit vorsorgen mussten: Neben getrocknetem Fleisch legten sie Vorräte an Bergkäse an.“ Die erste Form einer Kooperative, also eines Zusammenschlusses mehrerer Hersteller, geht auf 1275 zurück. Heute ist Comté mit einer Jahresproduktion von 60.000 Tonnen der meistproduzierte französische Käse mit dem AOP-Gütesiegel. Dieses legt klare Regeln fest – so muss beispielsweise die Milch von der heimischen Kuhrasse Montbéliard stammen. 140 Comté-Kooperativen gibt es insgesamt. Naturgemäß befinden sich alle in der Region Bourgogne-Franche-Comté.
Die Festung Saint-Antoine auf 1100 Metern Höhe wiederum entstand 1880, um die Grenze zur Schweiz militärisch gegen die Preußen abzusichern; genutzt wurde sie allerdings kaum. Längst stand sie leer, als der Käsehersteller Marcel Petite 1966 die Idee hatte, das imposante Bauwerk in einen Reifekeller zu verwandeln. „Eigentlich schon am Ende seiner Karriere kam er zufällig an diesen Ort, der mit seiner stabilen Temperatur wie in einer natürlichen Grotte perfekt für die langsame Alterung von Käse ist“, sagt Claude Querry. Petite ging gegen den Trend der Zeit, für einen schnelleren Profit immer weniger Reifezeit vorzusehen. Doch während Comté nach nur wenigen Monaten Alterung weniger haltbar und scharf im Geschmack ist, bekommt er nach langsamer Reifung das für ihn so typische würzig-milde Aroma. In hohen Reihen ruhen die rund 100.000 Laibe von jeweils 35 bis 40 Kilogramm und verströmen den Geruch fermentierter Milch. Sie stammt aus 35 verschiedenen Betrieben. Für ein Kilo Käse werden zehn Liter Milch benötigt – die Bauern erhalten rund 0,50 Cent pro Liter, fast doppelt so viel wie sonst französische Milchbauern im Schnitt.
Bei der Milch für Comté handele es sich um einen fairen Handel, bei dem nicht die großen Konzerne die Preise diktieren, bestätigt Antoine Vernerey, Präsident der Kooperative „Fruitière des lacs“ („Käserei der Seen“), in der sich 19 Landwirte zusammengeschlossen haben. „Um unsere Branche zu schützen, verwalten wir sie selbst“, sagt er. „Es ist gut, dass das AOC-Siegel klare Normen vorschreibt: Wir setzen keine Roboter ein, melken die Kühe zweimal am Tag, die draußen weiden.“ Einziges Zusatzprodukt zur Milch sei Salz. In riesigen, offenen Fässern werden jeden Tag 25.000 Liter verarbeitet; Besucher können den Verwandlungsprozess durch ein Glasfenster beobachten. „Unser Geschäft ist zugleich unsere Visitenkarte“, sagt der 35-Jährige, der sich als Käsebauer bezeichnet – nicht als Milchbauer. Denn was nach dem Melken mit der Milch passiert, ist ein langer und faszinierender Prozess, an dessen Ende der vielleicht beste Käse Frankreichs entsteht.
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