
Der GLB von Mercedes will und soll keiner für den Boulevard sein. Das kompakte SUV, nur zwei Zentimeter kürzer als der vermeintlich größere Bruder GLC, ist das vielleicht ehrlichste Modell der Stuttgarter seit langer Zeit. Das Heck schluckt eine Menge Gepäck oder bis zu sieben Passagiere – und unter der Haube treffen wir mit dem 220d auf eine bewährte Größe.
Herrje, was hat dieser unvermindert anhaltende SUV-Boom in der jüngeren Vergangenheit nicht alles für Modelle hervorgebracht: so viele Möchtegerns, die meinen, es reiche aus, die Bodenfreiheit ein wenig zu erhöhen – dazu Front, Heck und Flanken mit ein wenig Offroad-Folklore zu bestücken. Klar, kann man machen. Und fertig ist die angesagte, von den Kunden wie verrückt nachgefragte Fuhre – höherer bis übertrieben hoher Preis hin oder her.
Dieses Feld bespielen mittlerweile alle Hersteller, jene aus Europa ebenso wie die aus Fernost. Jeder will sein Stück vom großen SUV-Kuchen abhaben. Und doch gibt es dazwischen Modelle, die zwar all diese Grundvoraussetzungen erfüllen, sich dem automobilen Hipstertum jedoch nicht so einfach unterordnen wollen und stattdessen stur ihrem Anspruch folgen. Zu denen zählt der GLB von Mercedes-Benz. Dies ist seine Geschichte.
Wer ihn sieht, denkt zunächst an eine verkleinerte Ausgabe des großen GLS, jenes quadratisch-praktischen Geländewagens, dessen Nutzung einiges an Rechtfertigung im sozialen Umfeld erfordert – wenn man nicht gerade zur Berufsgruppe der Fußballprofis oder Chefärzte zählt. Viel eher stellt der GLB, basierend auf der kompakten Plattform des Konzerns, den Nachfolger des wunderbaren, (auch) in Bremen gebauten und allzeit unterschätzten GLK dar.
Dessen Karriere endete – uns völlig unverständlich – im Jahr 2015. Ein kantiger Typ, der nie auf dem Laufsteg überzeugen sollte, sondern im Alltag. Genau dort ist nun auch der GLB angekommen, vom Marketing zwischen dem GLA und GLC platziert. Wobei die Einordnung zwar von der Typologie her passend ist, beim Realitätsabgleich allerdings versagt. Denn der kompakte Crossover GLA misst knappe 4,41 Meter; der mittelklassige GLC dagegen 4,65 Meter. Da ist die vermeintliche Zwischenstufe GLB mit 4,63 Metern mehr als nur nah dran.
Aber: Sie ist dabei um so vieles praktischer. Denn der GLB wirkt im Alltag immer um einiges größer. Das soll ein Kompakter sein? Von wegen. Versuchen Sie doch sonst mal, das Lattenrost für ein Standardbett (90 Zentimeter breit und zwei Meter lang) im Heck zu verklappen. Ja, das funktioniert bei vielen großen Autos vom Schlage eines Audi Q7 oder BMW X5 – aber bei einem allenfalls mittellangen Fahrzeug? Da wird es normalerweise schwierig.
Der GLB packt solche Herausforderungen. Weil er nicht damit leben muss, dass wichtige Zentimeter Karosserielänge auf dem Designaltar, in Rundungen oder abfallenden Dachlinien, geopfert wurden. Dieser Benz darf Ecken haben, Kanten auch. Kurzum: Er ist ein rundum ehrlicher Kerl. Womöglich sogar der ehrlichste Mercedes, der in den vergangenen Jahren entworfen und gebaut worden ist.
Zu diesem Ansatz passt auch der bewährte Diesel, der unter der Kennung 220d an die Kundschaft gebracht wird. Er ist die Stuttgarter Entsprechung dessen, was Konkurrent BMW quer durch alle Baureihen mit der Endnummer 20d als Universaltalent anbietet: ein überaus kultivierter Selbstzünder, 140 kW / 190 PS stark, mit kräftigen 400 Newtonmetern Drehmoment gesegnet, kombinierbar mit Front- wie Allradantrieb.
Im Fall des GLB 220d 4Matic verteilt er seine Kraft (für 46.255 Euro Grundpreis) auf alle vier Räder. Das ist – für den winterlichen oder matschigen Fall der Fälle – beruhigend zu wissen, doch im Alltag der norddeutschen Tiefebene letztlich unerheblich. Wichtiger dafür: Wie kommt der GLB damit voran? So souverän wie entspannt – wenn es der Fahrer denn will.
Das setzt voraus, die Grundeinstellung – Comfort – der verfügbaren Fahrmodi nicht zu verändern. Dann ist der 220d ein Cruiser, der in erster Linie sein Ding macht, recht früh hochschaltet, aber genau dann kann, wenn er beim beherzten Tritt auf das Gaspedal muss und soll.
Im Sportmodus sieht das schon anders aus. Dann wird der GLB überraschend nervös, weil die Elektronik im Doppelkupplungsgetriebe mit den acht Gängen nun nach möglichst hohen Drehzahlen fahndet. Ja, das klingt dann recht aktiv und gibt dem GLB hyperaktiven Schub. Aber sorry: Zu diesem Auto mit seinen fast 1,9 Tonnen Leergewicht passt das nicht.
Eher schon der amerikanisch-gemütliche Ansatz mit dem Wählhebel an der rechten Seite der Lenksäule. Dort sitzt ja bei Mercedes sonst nichts, weil sich – Scheibenwischer, Blinker, Licht – traditionell im Multifunktionslenkstock links vom Volant ballen. Hier also nun die Kommandozentrale für P, R, N, D. Das wiederum schafft auf der Mittelkonsole Freiräume, mit denen man erst einmal klar kommen muss. Denn dort sitzen nun Touchpad und Controller für das hochmoderne Bediensystem des Hauses, genannt MBUX. Das steht für Mercedes-Benz User Experience – und ist selbst einige Jahre nach seiner Einführung immer noch eine Erfahrung für sich. Die Möglichkeiten, die MBUX in seinen Tiefen bietet, sind unfassbar – so wie die Augmented-Reality-Option des Navigationssystems mit seiner Kombination aus Satelliteninfos und realen Bildern der Frontkamera. Doch bis man dort gelandet ist, lässt es sich recht leicht verirren.
Denn die Redundanz der Bedienung will sich (wie schon mehrfach bei Mercedes-Modellen kritisiert) einfach nicht auf Anhieb erschließen. Die winzigen Touchflächen in den Speichen des Multifunktionslenkrads, der Controller auf der Mittelkonsole und schließlich der zentrale Touchscreen: Was sich zugleich oder ausschließlich worüber steuern lässt? Unklar. Eine längere Haltedauer des Fahrzeugs ist für diese Erkundungstour sicher nicht von Nachteil.
Dass der ewige Rivale BMW all das mit seinem iDrive sehr viel besser löst, mag Mercedes ärgern. Zur Beruhigung sei gesagt: Sogar so ein mächtiger Konzern wie VW hat sich bei der Einführung des Golf 8 und all seiner Ableger digital ziemlich verlaufen.
Stattdessen nehmen wir nun im Benz Platz, freuen uns an den stets hervorragenden Verstellmöglichkeiten der Multikontursitze (590 Euro Aufpreis) und fragen hinten mal nach, ob dort auch alles im Lack ist. Gegenfrage: Was ist denn jetzt gemeint, Reihe zwei oder drei? Denn gegen 1110 Euro extra wird der GLB auch zum Siebensitzer – eine Option, die sich niemand ohne Not entgehen lassen sollte. Zumindest dann nicht, wenn die Passagiere für ganz hinten weniger als 1,68 Meter Körperlänge aufweisen. Für alle anderen werden die Notsitze eine recht anstrengende Erfahrung – oder aber, sie sind in besonderer Weise in den Techniken der Faltkunst geschult.
Viel lieber aber sitzt man ohnehin mindestens eine, besser zwei Reihen weiter vorn. Und denkt dort darüber nach, ob dieser GLB bei allem Chichi, den Mercedes-Benz zuletzt auf die Räder gestellt hat, vielleicht das sinnvollste Modell seit langer Zeit –und überhaupt – ist. Völlig ausgeschlossen ist das nicht.
Technische Daten:
Modell: Mercedes-Benz GLB 220d 4MATIC
Motor: R4-Diesel
Hubraum: 1950 ccm
Leistung: 140 kW / 190 PS
Drehmoment: 400 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 217 km/h
Beschleunigung (0–100 km/h): 7,6 s
Verbrauch (ø nach WLTP): 5,8 l/100 km
CO2-Ausstoß (nach WLTP): 152 g/km
Abgasnorm: Euro 6d
Kofferraumvolumen: 570 Liter
Testwagenpreis: 69.377 Euro
Basispreis: 46.255 Euro
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