
Wochenlang hatte die Grippe Deutschland fest im Griff, nun scheint der Höhepunkt überschritten. Erstmals seit Wochen meldete das Robert-Koch-Institut am vergangenen Freitag rückläufige Fallzahlen: Nach 56.300 bestätigten Influenza-Erkrankungen in der zehnten Kalenderwoche wurden in der elften zwischen dem 11. und 18. März nur mehr 48.069 labordiagnostisch nachgewiesene Grippefälle registriert. Zuletzt sank die Zahl nach Angaben des RKI vom Mittwoch nochmals auf gut 25.216. In Deutschlands Arztpraxen wurden in der vergangenen Woche nicht mehr Atemwegsinfekte behandelt als im Oktober 2017.
Gleichwohl handelt es sich um eine der schwersten Grippewellen der vergangenen Jahrzehnte. Mehr als 300.000 belegte Influenzafälle hat das RKI bislang gezählt. Die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft sind beträchtlich. So meldete der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) für den zurückliegenden Februar den höchsten Krankenstand seit 2009.
Im Schnitt fielen an jedem Arbeitstag des Monats 6,2 Prozent der Beschäftigten krankheitsbedingt aus, wobei fast ein Drittel dieser Fehlzeiten durch Grippe und grippale Infekte verursacht wurden. Damit übertrifft der aktuelle Influenza-Ausbruch selbst die heftige Grippewelle vom Frühjahr 2015. Seinerzeit hatte der BKK für Februar einen Krankenstand von 5,9 Prozent ermittelt, der ebenfalls zu etwa einem Drittel Atemwegsinfekten geschuldet war. In „normalen“ Jahren sind im Februar nur zwischen 4,4 und 4,9 Prozent Kassenmitglieder arbeitsunfähig geschrieben.
Um welche Dimensionen es sich diesmal handelt, verdeutlichen Hochrechnungen: Mit 6,2 Prozent der 32,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten fehlten den Unternehmen im vergangenen Monat mehr als zwei Millionen Arbeitskräfte, knapp 615 000 von ihnen wegen Grippe oder grippaler Infekte. Der britische Wirtschaftsinformationsdienst IHS Markit stellte infolge der Grippewelle ein deutlich nachlassendes Wachstum der deutschen Wirtschaft fest. Der als Konjunkturindikator wichtige IHS-Einkaufsmanager-Index war Mitte März kräftig um 2,2 auf 55,4 Punkte gesunken. Ökonomen hatten eigentlich mit einem Wert um die 57 Punkte gerechnet.
Allerdings basiert dieser Index auf Umfragen. Konkrete Einbußen der Unternehmen lassen sich daraus nicht ableiten. Ebenso wenig können die Markit-Daten in Euro und Cent abbilden, was der gesamten Wirtschaft an Wertschöpfung verloren geht. Dies zu ermitteln, ist äußerst komplex. Auf der einen Seite stehen beträchtliche Produktionsausfälle. Sie werden aber zum Teil durch Sonderschichten und Überstunden kompensiert, wobei den Unternehmen wiederum zusätzliche Kosten entstehen.
Für viele Dienstleistungsberufe gilt, dass einzelne Betriebe zwar stark unter dem Krankenstand leiden, die Kunden aber auf andere Anbieter ausweichen können: Wenn der Lieblingsitaliener krankheitshalber geschlossen bleibt, suchen Hungrige eben die Pizzeria zwei Ecken weiter auf. Für den einen Betrieb unschön, für den anderen erfreulich, für die Volkswirtschaft unter dem Strich aber ein Nullsummenspiel.
Auf der anderen Seite kosten Krankheiten nicht nur Geld, sie schaffen auch Werte. Der Datendienst IMS Health errechnete während der Infektionswelle 2015 allein für Grippeimpfstoffe ein Umsatzvolumen von 94 Millionen Euro. Hinzu kommen lindernde Arzneien und Behandlungen, die privat oder von den Kassen getragen werden müssen, aber zugleich auch Einkommen für Arztpraxen und Pharmahersteller bedeuten. All diese Effekte gegeneinander aufzurechnen, erscheint fast unmöglich.
Dessen ungeachtet versuchten Wissenschaftler des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstituts (RWI) 2015, die gesamtwirtschaftlichen Folgen der damaligen Grippewelle zu ermitteln. Sie kamen seinerzeit auf Belastungen in Höhe von 2,2 Milliarden Euro und rechneten mit einem grippebedingten Minus des BIP um 0,3 Prozent im ersten Quartal. Für eine – bislang hypothetische – Pandemie mit Millionen Erkrankten gehen Experten allerdings von weitaus dramatischeren ökonomischen Einbußen aus. Die Schätzungen reichen bis zu 75 Milliarden Euro.
Von Schäden dieses Ausmaßes kann derzeit keine Rede sein. Einen Anhaltspunkt zu den aktuellen grippebedingten Einbußen liefert die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua): Sie bezifferte den erkrankungsbedingten Produktionsausfall pro Arbeitsunfähigkeitstag im Jahr 2016 mit durchschnittlich 112 Euro. In der Summe kam das Baua auf Produktionsausfälle in Höhe von 75 Milliarden Euro. Allerdings wurden dabei alle Fehltage berücksichtigt, die sämtlichen Erkrankungen zuzurechnen sind – und nicht allein der Grippe.
job4u ist die regionale Plattform, wenn es um Lehren und Lernen geht. Neben dem WESER-KURIER, der Handelskammer und der Handwerkskammer Bremen machen sich hiesige Firmen für junge Leute stark.