Der mutmaßliche Täter der Messerattacke in einem Regionalzug zwischen Kiel und Hamburg ist 2014 nach Deutschland eingereist und 2015 in Nordrhein-Westfalen und Hamburg mehrfach straffällig geworden. Das erläuterte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) in einer Pressekonferenz in Kiel am Donnerstag.
Über Motive des 33 Jahre alten staatenlosen Palästinensers Ibrahim A., gegen den inzwischen Haftbefehl erlassen worden ist, gebe es noch keine Erkenntnisse. Nach Aussage von Oberstaatsanwalt Peter Müller-Rakow werde dem Mann zweifacher heimtückischer Mord und viermal versuchter Totschlag vorgeworfen
Sütterlin-Waack korrigierte die Angaben zu den beiden Todesopfern – es seien eine 17-Jährige (statt 16) und ein 19-Jähriger getötet worden. Zwei weitere Menschen seien lebensgefährlich, drei weitere schwer verletzt worden. Der mutmaßliche Täter sei leicht verletzt worden. Wie er sich diese Verletzung zugezogen hat, sei noch nicht geklärt, so die Ministerin.
Die beiden Todesopfer haben eine Schule in Neumünster besucht, teilte Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) am Donnerstag mit. Prien kündigte an, am Freitag in Neumünster zu sein, um mit Schulleitung, Lehrkräften und den Mitschülerinnen und Mitschülern zu sprechen. „Diese schreckliche und sinnlose Tat gegen so junge Menschen macht mich fassungslos und traurig“, so die Ministerin. „Meine Gedanken sind bei den Opfern, den Verletzten und besonders bei den Familien, Freunden und Mitschülern der beiden getöteten Jugendlichen. Ihnen gilt mein ganzes Mitgefühl.“ Freunde und Mitschüler bräuchten jetzt sofort besondere Unterstützung, um das Geschehene zu verarbeiten.
Ein Jahr in Untersuchungshaft
Der mutmaßliche Angreifer saß bereits wegen einer anderen Messertat in Hamburg ein Jahr lang in Untersuchungshaft. Er sei am 18. August 2022 vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg zu einem Jahr und einer Woche wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls verurteilt worden, teilte Gerichtssprecher Kai Wantzen mit. Dem nicht rechtskräftigen Urteil zufolge hatte der heute 33-Jährige am 18. Januar 2022 einen Mann vor einer Hamburger Obdachlosenunterkunft mit einem Messer angegriffen und verletzt. Beide hätten in einer Schlange zur Essensausgabe gestanden und seien in Streit geraten.

Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).
Gegen das Urteil legte der 33-Jährige Berufung ein. Das Landgericht habe zunächst Nachermittlungen veranlasst, außerdem habe es terminliche Schwierigkeiten mit einem Sachverständigen gegeben. Deswegen habe ein Termin für einen neuen Prozess nicht angesetzt werden können. Weil die Dauer der Untersuchungshaft die Strafe des Amtsgerichts zu überschreiten drohte, habe das Landgericht den Haftbefehl am 19. Januar aufgehoben. Da nur der Verurteilte Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte, hätte das Landgericht keine längere Haftstrafe aussprechen dürfen, erklärte Wantzen. Bereits Ende 2021, also wenige Wochen vor der Tat vor der Obdachlosenunterkunft, sei der 33-Jährige in Hamburg erstmals polizeilich in Erscheinung getreten, sagte der Sprecher der Innenbehörde, Daniel Schaefer. Es sei dabei um Körperverletzung gegangen.
Kurz vor dem Messerangriff im Zug am Mittwoch sei der Mann in der Kieler Ausländerbehörde gewesen, um eine Aufenthaltskarte zu beantragen, berichtete Sütterlin-Waack bereits vor der Pressekonferenz am Donnerstag in einer Sondersitzung des Landtags. Von dort sei er zum Einwohnermeldeamt geschickt worden.
Angreifer aus Regionalbahn vor der Tat psychiatrisch beurteilt
Zudem wurde am Donnerstag bekannt, dass der mutmaßliche Täter wenige Tage vor der tödlichen Messerattacke psychiatrisch beurteilt worden ist – ohne dass dabei besondere Auffälligkeiten festgestellt wurden.
Schon im Rahmen seiner knapp einjährigen Untersuchungshaft wegen eines Gewaltdelikts sei er in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder psychiatrisch betreut worden, teilte die Hamburger Justizbehörde mit. Grund für die Betreuung seien Tätlichkeiten gewesen, in die er zwei Mal während der Haft verwickelt gewesen sei.

Ein Mitarbeiter der Spurensicherung ist am Donnerstag auf dem Bahnsteig unterwegs, nachdem ein Mann in einem Regionalzug mehrere Personen angegriffen und zwei getötet hat.
„Ein Psychiater hat kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung festgestellt“, sagte eine Behördensprecherin. Deshalb habe es auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, eine rechtliche Betreuung zu beantragen oder den Sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten
Tatverdächtiger war nicht ausreisepflichtig
Ibrahim A. sei nicht ausreisepflichtig gewesen, sein Aufenthalt in Deutschland sei erlaubt gewesen, sagte eine Sprecherin des Kieler Integrationsministeriums. Aus welchem Land er 2014 kam, blieb am Donnerstag zunächst unklar. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat er drei Vorstrafen, habe aber nicht als Intensivtäter gegolten.
Ersten Ermittlungen zufolge hatte die Messerattacke am Mittwoch in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg keinen terroristischen Hintergrund. Es gebe keine entsprechenden Hinweise, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe, Peter Müller-Rakow.
Nach dem tödlichen Angriff in einem Regionalzug bleiben Schock, Trauer und die Frage nach dem Warum. Das Verbrechen hatte am Mittwoch einen Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften ausgelöst und weit über Schleswig-Holstein hinaus für Entsetzen gesorgt. Ein vergleichbar schweres Gewaltverbrechen in einem Zug gab es nach Angaben von Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos) in Schleswig-Holstein noch nicht.
Mutige Zeugen stoppten den Täter
Viele Fragen blieben in den Stunden nach der Tat offen. Die Ermittler befragten Dutzende Zeugen aus dem Zug, der mit rund 120 Fahrgästen besetzt war, in einem Gasthof in der Nähe des kleinen Bahnhofs der Gemeinde im Kreis Steinburg. Offenbar konnten mutige Fahrgäste Schlimmeres verhindern, sie überwältigten den Angreifer und hielten ihn fest.
Nach der Tat drückte auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Betroffenen ihr Mitgefühl aus. „All unsere Gedanken sind bei den Opfern dieser furchtbaren Tat und ihren Familien“, schrieb die Politikerin im Kurznachrichtendienst Twitter. Dies sei eine „erschütternde Nachricht“. Sütterlin-Waack eilte am Nachmittag zum Tatort und ließ sich informieren. Sie hatte von dem Verbrechen während einer Landtagssitzung erfahren. Sie sei „in Gedanken bei den Familien und Angehörigen der Opfer“.
Günther: „Das ist ein furchtbarer Tag“
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach am Mittwochabend in Kiel von einer schrecklichen und sinnlosen Tat. „Schleswig-Holstein trauert – das ist ein furchtbarer Tag“, sagte Günther. Er denke an alle, die trauerten und um die Verletzten bangten. Er sei in Gedanken und Gebeten bei den Menschen, bei den Angehörigen. Der Regierungschef dankte den Einsatzkräften für deren Arbeit und auch denen, die sich um die Passagiere und Zeugen im Zug sowie um die Verletzten gekümmert hätten.
Die Deutsche Bahn sprach den Angehörigen der Opfer tiefes Mitgefühl aus. „Den Verletzten wünschen wir eine baldige und vollständige Genesung.“
In der Nacht zum Donnerstag wurden die getöteten Opfer von Bestattern aus dem beim Bahnhof in Neumünster abgestellten Zug geholt, wie ein dpa-Fotograf sah. Auch die Spurensicherung war weiter aktiv.
++ Dieser Artikel wurde am 26. Januar um 20.57 Uhr aktualisiert. ++