Gefahr durch Handynutzung Wie Städte Straßen und Fußwege sicherer machen wollen

Wer den Blick nicht vom Handy abwenden kann, ist im Verkehr besonders gefährdet. Um Straßen und Fußwege sicherer zu machen, haben einige Städte nun kuriose Konzepte entwickelt.
07.01.2020, 12:17 Uhr
Lesedauer: 6 Min
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Von Katharina Frohne und Annett Stein

Achtung, Smombies – so die Botschaft eines Straßenschilds, das im Sommer 2018 in der Reutlinger Innenstadt auftauchte. Es zeigte die Silhouetten zweier Personen, die während des Gehens auf die Displays ihrer Handys starrten. Smombie, das steht für Smartphone-Zombie; für Menschen also, denen es schwerfällt, den Bildschirmdauerblickkontakt zu unterbrechen, die, vertieft in Messenger-Chats und Social-Media-Apps, blind durch die Gegend schlurfen.

Wer das Straßenschild aufgestellt hatte, ist unklar. Sicher ist nur, dass es später den Ort wechselte. Inzwischen ziert es den Schulhof eines nahe gelegenen Gymnasiums. Dort, so sagt Tanja Ulmer, Geschäftsführerin des Reutlinger Stadtmarketings, fungiere es als eine Art Mahnmal, als Erinnerung daran, wie wichtig es sei, im Straßenverkehr auch tatsächlich auf die Straße zu gucken und nicht aufs Handy.

Vom Smartphone abgelenkte Fußgänger seien eine immense Gefahr für sich und andere, sagt auch Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mit Sitz in Berlin. „Inzwischen piept ein Smartphone ständig wegen irgendetwas oder hat vermeintlich Interessantes zu bieten" – eine "unglaubliche Ablenkung für Verkehrsteilnehmer".

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Das Smartphone als Unfallfaktor

Nach Daten der österreichischen Bundesanstalt Statistik Austria geht inzwischen jeder fünfte Fußgängerunfall auf Ablenkung durchs Handy zurück, sagt Janssens, der hauptberuflich Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin des St.-Antonius-Hospitals Eschweiler ist. Ein Test der Universität Braunschweig habe schon vor Jahren gezeigt, dass rund 13 Prozent der 12 000 Autofahrer, die in mehreren Städten erfassten wurden, abgelenkt waren – die meisten vom Tippen auf ihrem Handy. Ähnliches ergab eine im April präsentierte Verkehrszählung des Automobilclubs „Mobil in Deutschland“: Von den rund 50 000 registrierten Fahrzeugen habe jeder 16. Autofahrer sein Handy in der Hand gehabt.

Auch in Bremen, sagt Polizeisprecherin Franka Haedke, sei das Problem bekannt. Die Ablenkung durch das Smartphone ist laut städtischer Unfallstatistik eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle. Die meisten ereigneten sich dabei während der Rush Hour – also dann, wenn die Straßen besonders voll seien und verlangsamtes Reagieren schnell zu Auffahrunfällen führe. Auch wenn es beim Abbiegen zu Zusammenstößen komme, sei häufig die Beschäftigung mit dem Smartphone schuld.

Das Telefonieren am Steuer erhöhe das Unfallrisiko dabei um das Fünffache, sagt Haedke. Selbst die Nutzung einer Freisprechanlage nütze kaum etwas: Das Unfallrisiko sei dann immer noch viermal so hoch wie sonst. Besonders riskant sei das Schreiben eines Textes, etwa einer Sms oder Messenger-Nachricht: Die Aufmerksamkeit, sagt Haedke, sei dann etwa so eingeschränkt wie bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille.

Doch nicht nur Autofahrer, auch Radfahrer und Fußgänger gefährdeten sich und andere – dann zum Beispiel, wenn sie mit sogenannten Noise-Cancelling-Kopfhörern unterwegs seien; Kopfhörern also, die dafür sorgen, dass ihr Träger nichts hört außer der abgespielten Musik.

Der im April vorgestellten Allianz-Studie „Sicher zu Fuß“ zufolge telefonieren zwei Drittel der Fußgänger regelmäßig, 35 Prozent lesen Texte oder sehen sich Bilder sowie Videos an, 43 Prozent schreiben Nachrichten. Fast die Hälfte, nämlich 45 Prozent, nutzt die Geräte dabei auch beim Überqueren von Straßen. Die Größenordnung der Handynutzung als Unfallursache in Deutschland sei derzeit noch offen, so die Autoren der Studie. Völlig klar sei aber, dass es einen Zusammenhang zwischen der Konzentration von Fußgängern aufs Handy und kritischen Situationen sowie Unfällen gebe.

Mehr Sicherheit durch Bodenampeln und Handyspuren

Das in der Reutlinger Innenstadt errichtete Schild war wohl eher als Spaß gedacht. Andere Städte arbeiten tatsächlich schon daran, den Verkehr smombiesicherer zu gestalten. In Augsburg etwa gibt es Bodenampeln, die – die Wortschöpfung Smombie mag als Vorbild gedient haben – kurz und klangvoll Bompeln genannt werden. An Kreuzungen leuchten nun nicht allein die Fußgängerampeln; in den Asphalt eingelassen gibt es blinkende LED-Signale, die auch Dauerdigitalisten schwerlich übersehen können. Eine Maßnahme, die DIVI-Präsident Uwe Janssens kritisch sieht: „Solche Signale auf Fußwegen sind umstritten; Experten befürchten, dass sich der Mangel an Aufmerksamkeit dadurch noch verschlimmert.“

In Washington wurde unterdessen zeitweilig eine sogenannte Cellphone Lane eingerichtet: eine Handyspur. Gehwege verfügten über eine normale und eine smombiefreundliche Seite. Wer sich ohne Smartphone in der Hand (und dadurch üblicherweise schneller) fortbewegen wollte, konnte die eine Seite nutzen; auf der anderen sollten sich diejenigen tummeln, die den Blick nicht vom Handybildschirm zu lösen vermochten. In Litauen und auf Hawaii müssen Fußgänger gar mit bis zu zwölf Euro Strafe rechnen, wenn sie dabei erwischt werden, wie sie beim Überqueren einer Fahrbahn ein mobiles Gerät nutzen.

Welche Folgen es haben kann, im Straßenverkehr am Handy rumzuspielen, zeigt eine kürzlich veröffentlichte US-Analyse. Die Zahl der unfallbedingten Kopf- und Nackenverletzungen, die auf die Nutzung eines Mobiltelefons zurückgehen, steigt danach seit zwei Jahrzehnten stetig an. Vielfach ist auch hier Ablenkung die Unfallursache. Betroffen seien vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, berichten die Mediziner um Boris Paskhover von der Rutgers New Jersey Medical School in Newark. Häufigste Verletzungen seien dabei Platzwunden, Prellungen und Schürfwunden. Die kämen meist dadurch zustande, dass Autofahrer während der Fahrt ihre Handys nutzten und dadurch vom Geschehen auf der Straße abgelenkt würden. Groß sei auch die Zahl unaufmerksamer – und dadurch in Unfälle verwickelter – Fußgänger. Pokémon Go und ähnliche Handyspiele machen dabei nur einen winzigen Bruchteil der Ablenkungsursachen aus.

Im Jahr 2007 kam das erste iPhone des US-amerikanischen Unternehmens Apple auf den Markt, inzwischen sind Smartphones aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Menschen, die auf Handys starren, sind allgegenwärtig – selbst auf Spielplätzen sind häufig mehr Eltern mit Bildschirm vorm Gesicht als mit ihren Kindern spielend zu sehen. Schon Kleinkinder werden zu Handy-Opfern: weil einem Erwachsenen das Gerät aus der Hand auf das Kind fällt oder weil dieser abgelenkt ist und Unfälle nicht rechtzeitig bemerkt.

Gefahr für Kinder und Jugendliche

Besonders gefährdet sind jugendliche Nutzer. Das ergab eine kleine, im März vorgestellte Studie deutscher Mediziner. So wurde etwa eine aufs Smartphone guckende Zwölfjährige beim Überqueren einer Straße von einem Auto erfasst und schwer verletzt. Eine 14-Jährige stürzte beim Spielen auf dem Handy eine Treppe hinunter. Eine 16-Jährige fiel beim Versuch, ein Selfie zu machen, durch ein Glasdach. Und einem 16-Jährigen rollte ein Auto über die Hand, als er sein Smartphone von der Straße aufheben wollte.

Mittlerweile besitzen nach Daten des Branchenverbands Bitkom fast alle 14- bis 18-Jährigen und drei Viertel der zehn- bis elfjährigen in Deutschland ein Smartphone. „Die neue Generation Z ist permanent online, nutzt das Handy zum Telefonieren, Musik hören, Fotos machen und Verschicken von Nachrichten“, heißt es in der im Fachjournal „Pediatric Emergency Care“ vorgestellten Studie. Berücksichtigt wurden von dem Team um Steffi Mayer vom Uniklinikum Leipzig insgesamt zehn Kinder von zehn Wochen bis 17 Jahren, die zwischen 2008 und 2015 in kinderchirurgischen Abteilungen in Leipzig und München behandelt wurden.

Bei den zwei erfassten Verletzungen von Babys hatte demnach einmal die Mutter ihr Handy auf den Kopf ihres Sohnes fallen lassen, im zweiten Fall hatte es der Vater nach seiner Tochter geworfen. Studien zuvor hätten bereits gezeigt, dass nicht nur die Zahl auf Handynutzung zurückgehender Autounfälle in Deutschland steige, sondern auch die verletzter Kinder, deren Eltern durch ihr Handy abgelenkt waren und nicht auf ihren Nachwuchs achteten.

In vielen Ländern wird inzwischen auch versucht, politisch gegenzusteuern. In Deutschland etwa mit der Plakatkampagne „Heute schon mit ihrem Kind gespielt?“. Großformatige Bilder zeigten etwa ein Kind im Hochstuhl, das traurig in die Kamera guckt, während Mama und Papa auf ihren Smartphones herumklicken.

Den Forschern um Mayer gehen derartige Maßnahmen nicht weit genug: Sie plädieren dafür, Smartphones überall dort zu verbieten, wo andere durch potenzielle Unaufmerksamkeit zu Schaden kommen können: „Die Nutzung sollte nicht nur beim Autofahren oder beim Überqueren einer Straße verboten sein, sondern in allen öffentlichen Räumen, wo Aufmerksamkeit essenziell ist, um Unfälle zu vermeiden.“

Auch Franka Haedke von der Polizei Bremen rät dazu, sich voll und ganz auf den Verkehr zu konzentrieren. Denn: „Alle Tätigkeiten, die physisch, psychisch oder emotional ablenken, erhöhen das Risiko, an einem Verkehrsunfall beteiligt zu sein, um ein Vielfaches.“

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