Von Berkeley lernen, heißt siegen lernen: Auf Initiative eines Stadtrats nähert sich die kalifornische Universitätsstadt der Utopie einer geschlechtsneutralen Sprache, durch die niemand benachteiligt oder gar ausgeschlossen wird. Der 23-jährige Rigel Robinson hat unlängst in der Gemeindeverordnung mehr als zwei Dutzend Wörter identifiziert, deren Austausch ihm zufolge für mehr Gender-Gerechtigkeit sorgen könnte. Aus „police woman“ wird fortan „police officer“, „manpower“ heißt künftig „workforce“ oder „human effort“, „manhole“, ein Wort für Kanalschacht, soll durch „maintenance hole“ ersetzt werden, "fireman" beziehungsweise „firewoman" durch den unspezifischen Ausdruck „firefighter“. Robinson sagte, Sprache sei so mächtig, dass selbst kleine Schritte bedeutsam seien.
Auch hierzulande gibt es beachtliche Versuche, Brückenschläge zwischen den Geschlechtern zu etablieren, um sprachliche Apartheid abzuwenden. Besonders viel Resonanz erfuhr zuletzt das in Hannover gestartete Projekt, im Schriftverkehr der Verwaltung stärker als bislang geschlechtsumfassende Formulierungen zu verwenden – das dritte Geschlecht inbegriffen, das seit dem 1. Januar im Personenstandsregister geführt wird.
Die von der niedersächsischen Landeshauptstadt herausgegebene „Empfehlung für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache“ soll der Vielzahl geschlechtlicher Identitäten Rechnung tragen. Das generische Maskulinum ist aus der Kommunikation verbannt worden, um unterschiedslos alle sogenannten Bürger*innen anzusprechen. Aus Hannoveranern werden dementsprechend Hannoveraner*innen. Wähler (m, w, div) gelten nunmehr als „Wählende“, aus einem Rednerpult ist ein „Redepult“ geworden, „der Antragsteller“ firmiert als „die antragsstellende Person“.
Attackiert wurde die Initiative von konservativen Medien, die Wahnwitz oder gleich die Apokalypse beschworen: Der „Bayernkurier“ sah Hannover „im vollen Galopp auf den Gender-Abgrund“ zuhalten, „Bild“ kommentierte, „Gender-Gaga“ sei „jetzt neue Amtssprache in Hannover“.
Kritiker erhalten Auftrieb durch Petition
Auftrieb erhalten solche destruktiven Kritiker durch eine vor fünf Monaten gestartete Petition unter dem Motto „Schluss mit dem Gender-Unfug!“. Die Initiatoren, darunter Dichterin Monika Maron und Journalist Wolf Schneider, wollen bei generischen Bezeichnungen grundsätzlich die männliche Form benutzt wissen. Jede andere Benennung habe „eine Fülle lächerlicher Sprachgebilde“ wie „Studierende“ und „Fahrzeugführende“ zur Folge. Der „seltsame Gender-Stern“ sei nach Binnen-I, Unterstrich und weiteren Formen des sogenannten Gender-Gaps eine weitere Verrenkung, um einer Sprache Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, die durch „zerstörerische Eingriffe“ zusehends verkomme.
Wie rau der Ton an der Gender-Front mittlerweile ist, zeigen auch die jüngsten Einlassungen des Sprachwissenschaftlers Peter Eisenberg. Der emeritierte Professor (Uni Potsdam) wird im Oktober für seine Verdienste um die deutsche Sprache mit dem Jacob-Grimm-Preis ausgezeichnet – als erster Linguist überhaupt. Hannovers Vorstoß, Geschlechtergerechtigkeit festzuschreiben, ruiniere die Sprache, gibt Eisenberg harsch zu Protokoll.
Man wolle nicht etwa das Femininum fördern, sondern das Maskulinum abschaffen. Das zeitige unweigerlich einen Sprachzerstörungsprozess, der von Ignoranz geprägt sei: Wenn Hannover das Wort „keiner“ durch das Wort „niemand“ ersetze, werde ein „reines Maskulinum“ nobilitiert. Trotz verhärteter Fronten zwischen vermeintlich progressiven Spracherneuerern und selbsternannten Sprachbewahrern glaubt der Eisenberg, „dass das Deutsche alle Möglichkeiten zur Sichtbarmachung von Frauen hat“.
Welche das sein können, untersucht derzeit eine Initiative, die als wohltuend unaufgeregte Gegenbewegung zu Traditionalisten und Puristen auftritt: Genderleicht.de, eine vom Bundesfamilienministerium geförderte Plattform, stellt Medienschaffenden Tipps und Tools zur Verfügung, die einem diskriminierungsfreien und geschlechtersensiblen Schreiben und Sprechen zuarbeiten sollen.
Man sollte diesem verheißungsvollen Projekt etwas Zeit geben, praxis- und realitätsnahe Vorschläge für einen wertschätzenden Umgang zwischen Menschen aller Geschlechter auszuarbeiten. In der Zwischenzeit hilft der Blick in den dezenten Duden-Leitfaden „Richtig gendern“ und, als Kontrast dazu, die Lektüre von radikalem Verwaltungsjargon in Hannover oder/und Berkeley. Jetzt sind Kompromisse angezeigt statt polemischer Eskalation.