Der Mann, der nach oben fiel

Sie wünschen?“ fragte das Pferd und schaute über seine Lesebrille auf den Mann. „Mein Name ist Martin Huber.
23.07.2017, 00:00 Uhr
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Von Cornelia Knösel

Sie wünschen?“ fragte das Pferd und schaute über seine Lesebrille auf den Mann. „Mein Name ist Martin Huber. Ich möchte mich um die Stelle bewerben.“ „Aha“, schnaubte das Pferd. Sein Schweif begann heftig hin und her zu schwingen als wollte es lästige Fliegen vertreiben. Die Augen des Mannes hinter der randlosen Brille blickten scheu zu dem Pferd hoch.

„In der Zeitung stand, dass die Stelle der Schiedsperson für den Amtsbezirk Preelitz dringend neu zu besetzten ist.“ Das Pferd schritt um den Schreibtisch herum, musterte den Mann von oben bis unten. „Sie wollen sich um die freiwerdende Position bewerben?“ „Ja“, antwortete der Mann und zupfte an seiner Krawatte.

Mit aufgewölbter Oberlippe, so dass sein Gebiss sichtbar wurde reckte das Pferd den Kopf nach oben. Wie drollig! dachte es. Vielleicht mal was neues! „Haben Sie Zeugnisse oder Referenzen?“ Der Mann legte einen schwarzen Diplomatenkoffer auf den Tisch, öffnete ihn, holte eine dunkelgraue Mappe hervor und überreichte sie dem Pferd. „Sonst nichts? Ist das alles?“ „Fehlende Papiere kann ich gegebenenfalls nachreichen“, erwiderte er und versuchte zu lächeln.

Das Pferd trabte kopfschüttelnd wieder an seinen Platz hinter dem Schreibtisch.„Um sich hier zu bewerben, benötigen wir zunächst eine Probe von ihren Pferdeäpfeln.“ Der Mann sah ihn mit großen runden Augen an. „Pferdeäpfel? Das wird schwierig“, gestand er und errötete. „Nun denn“, seufzte das Pferd: „Zeigen Sie mir ihre Hufeisen?“ „Hufeisen?“ rief der Mann und seine Augen wurden noch runder. Das Pferd stampfte mit den Vorderbeinen auf den Boden. „Wie schnell sind Sie?“ „Nun - ich bin nicht besonders schnell dafür aber sehr gründlich.“

„Nicht zu glauben“, schnaubte das Pferd. „Keine Pferdeäpfel, keine Hufeisen. Und da kommen Sie so einfach her und wollen sich um den Posten bewerben? - Können Sie überhaupt wiehern?“ Der Mann hielt die Hände seitlich vom Körper abgespreizt, legte seinen Kopf in den Nacken und begann in einer ohrenbetäubenden Lautstärke zu wiehern. Das Pferd spitzte die Ohren: „Das ist ja unglaublich“, rief es und applaudierte. „Nun ja so einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist es nicht. Ich kann ihnen vorschlagen zunächst als Esel zu beginnen.“ Der Mann wieherte sanft.

„Haben Sie sich auf diesen Posten bewährt, werden sie zum Assistenten der Schlichtungsstelle auf Probe ernannt.“ Das Wiehern des Mannes tönte nun laut und schrill. Die Tür öffnete sich. Ein Schimmel trabte in den Raum! Sein hochgestellter Schweif schwang hin und her. „Was ist das für ein Lärm?“ Das Pferd hinter dem Schreibtisch klemmte seinen Schweif zwischen die Beine. „Gestatten Herr Oberamtshofpferd, dies ist Herr Huber, ein neuer Bewerber.“ Er deutete mit einem kurzen Nicken in Richtung des Mannes.

Das Oberamtshofpferd legte die Ohren flach an, kniff Augen und Nüstern zusammen. „Haben Sie eben gewiehert?“ Der Mann nickte. Seine Augen wanderten zwischen den beiden Pferden hin und her. Dabei überlegte er, ob es geschickt sei noch eine Probe seines Könnens abzuliefern. Ehe er sein Vorhaben in die Tat umsetzten konnte fuhr das Oberamtshofpferd fort: „Als erste Anlaufstelle für Ratsuchende müssen Sie selbstständige und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen.“ „Ich verfüge über mehrjährige Berufserfahrung, insbesondere Schlichtungsverfahren bei Schadensersatz und Schmerzensgeld. Man bescheinigte mir eine sehr gründliche Arbeitsweise.“

„Hm – ich fürchte das reicht nicht. Kennen Sie zufällig ein hohes Tier? Ein Tritt von einem hohen Tier könnte sie vielleicht in den Job befördern.“ „Ich kenne kein hohes Tier“, sagte der Mann und ließ seinen Kopf hängen. „Dann kann ich leider nichts für Sie tun!“ Die Brust des Mannes hob sich beim Atemholen wie ein Blasebalg. „Lt. § 2 Absatz 6b erfülle ich alle Anforderungen für dieses Amt. Beide Pferde verdrehten die Augen.

„Unser Amt konnte nur überleben, weil wir ständig bemüht sind, die Besten zu nehmen.“ „Ich bin der Beste!“ rief der Mann und straffte seine Schultern. „Im Finden von Kompromissen bin ich der Meister.“ „Was ist das Wichtigste an diesem Posten“, wollte das Oberamtshofpferd von ihm wissen? Der Mann überlegte nicht lange und antwortete: „Tue nichts und verhindere alles!“ Beide Pferde brachen in ein dröhnendes und nicht enden wollendes Gewieher aus. „Das ist es! Genau das ist es! „Tue nichts und verhindere alles!“ „Mein Gott, der Bengel hat Talent. Er ist der geborene Amtsschimmel.“ Das Oberamtshofpferd trabte auf den Mann zu und verpasste ihm einen kräftigen Tritt.

Zur Person

Cornelia Knösel wurde 1953 in Bremen geboren und ist Diplom-Pädagogin und selbstständige Trainerin im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung. Sie schreibt Lyrik und Prosa und ist Mitglied in der Nord-Bremer Schreibgruppe „Literaturpforte“. Zusammen mit der Gruppe oder anderen Autoren veranstaltet Cornelia Knösel Lesungen. Zuletzt hat sie an dem Literaturfestival „Gastgeber Sprache“ teilgenommen.
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