Kochen gehört für viele Menschen zu den notwendigen Verrichtungen des Alltags. Wie das Wäschewaschen. Oder der Wohnungsputz. Beim Kochen kann man aber auch Abstand vom Alltag finden. Und sogar entspannen. Ein spezieller Kochkursus sollte zeigen, wie „ Kochen mit allen Sinnen“ geht.
Jeder, der schon einmal Orangen filetiert hat, weiß, dass das leichter gesagt als getan ist. Es hilft immens beim filigranen Schneiden des Fruchtfleisches, wenn man eine ruhige Hand und dazu noch Fingerspitzengefühl hat. Nicht minder dienlich sind Eigenschaften, die nichts mit handwerklichem Geschick zu tun haben: Ruhe, Gelassenheit, Bedachtsamkeit – und vor allem eine große Portion Aufmerksamkeit. „Dann geht Kochen wunderbar und ganz leicht“, sagt Elke Maria Koßmann. Die 58-jährige Profiköchin leitete jüngst im Bioland-Hofrestaurant Voigt in Barrien bei Syke einen Kochkursus, bei dem die Bedeutung von Aufmerksamkeit und Bedachtsamkeit für ein entspanntes und Spaß bereitendes Kochen eine zentrale Rolle spielten.
Elke Maria Koßmann gehört zu den Menschen, die nicht allein das Essen als (kulinarischen) Genuss erleben, sondern auch das Kochen davor als (sinnlichen) Genuss empfinden. „Wenn ich schon essen muss, um zu leben, dann will ich es wenigstens genießen“, sagt sie. Dazu gehöre auch„ganz viel Freude an der Küchenarbeit“.
Da die 58-Jährige nahezu täglich am Herd steht, darf man davon ausgehen, dass sie ihr momentanes Leben sehr genießt. Sie arbeitet als Mietköchin, außerdem betreibt sie eine sogenannte Gästetafel, bei der man im privaten Umfeld – aber trotzdem in geselliger Runde – speisen und einen unterhaltsamen Abend verbringen kann. Und sie kocht regelmäßig bei der „Drehscheibe Deutschland“ im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). Zu guter Letzt gibt Elke Maria Koßmann ihre Tipps und Erfahrungen auch noch in Kochkursen weiter.
Die Idee zu dem Kochkursus in Barrien hatte Andreas Troché. Der Bremer ist beruflich als Kommunikations-Berater tätig, in seiner Freizeit kocht er gerne – und bei beidem hat er sich durch die Philosophie eines Mannes inspirieren lassen: Edward Espe Brown. Der US-Amerikaner ist Zen-Priester, Koch und Buchautor (u.a. „Das Lächeln der Radieschen – Zen in der Kunst des Kochens“). Die deutsche Filmemacherin Doris Dörrie widmete dem Kalifornier 2007 den Film „How to cook your Life“ (Wie man sein Leben kocht). Der heute 68-Jährige wird darin als Mensch geschildert, für den „Kochen eine Form der Fürsorge sich selbst und anderen gegenüber“ sei, wie der Filmverleih schreibt.
Andreas Troché, der in seinem Beruf hauptsächlich mit Themen wie Stress und Burn-out zu tun hat, lernte im vergangenen Jahr bei einem Seminar in Österreich Edward Espe Brown persönlich kennen – und schätzen. Durch ihn habe er vor allem gelernt, dass Kochen eine gute Möglichkeit sei, „um nach einem stressigen Arbeitstag den Kopf frei zu bekommen“.
„Die meisten Menschen erledigen im Alltag zu Hause Kochen und Essen in aller Eile, um schnell die Füße hochlegen zu können“, hat Andreas Troché beobachtet. Und er findet es „furchtbar, dass man dadurch den Stress, den man schon bei der Arbeit hat, auf das Privatleben überträgt“.
Dabei sei es gar nicht so schwer, beim Kochen Entspannung sowie beim Essen Genuss zu empfinden. Außerdem könne man dabei sogar tiefer gehende Erfahrungen machen, die „sich auch auf andere Situationen im Alltagsleben übertragen lassen“. Andreas Troché gibt als Beispiel eine Empfehlung von Edward Espe Brown weiter: „Wenn man eine Karotte schält, dann schält man eine Karotte.“ Soll heißen: Solange man sich mit einer Sache beschäftigt, soll man sich auch ganz auf diese eine Sache konzentrieren. Wenn man diesen Grundgedanken auf andere Lebensbereiche übertrage, spüre man schnell, dass man beispielsweise auch im stressigen Berufsalltag ruhiger und entspannter werde, behauptet Andreas Troché.
Was beispielsweise die buddhistische Schule in der Theorie lehre, müsste sich ansatzweise auch in einem speziellen Kochkursus in der Praxis vermitteln lassen, dachte der Bremer – und setzte die Idee jetzt zusammen mit Elke Maria Koßmann in die Tat um. Beide hatten sich vorgenommen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer „spüren, wie durch Aufmerksamkeit Leben in die Küche kommt, wie Kochen entspannt und zu einer Energiequelle für Körper und Geist werden kann“.
Die Hobbyköche wurden aufgefordert, „durch die Küche zu flanieren und sich Zeit zu nehmen beim Schälen, Schneiden, Abschmecken und vor allem beim Genießen“. Ziel sei es, beim „gemeinsamen Zubereiten zu erfahren, wie Aufmerksamkeit die Sinne aufleben lässt und wie entspannend Gemüseschneiden sein kann“. Womit wir wieder bei den Orangen wären. Beim Filetieren der Südfrüchte könne man ausgezeichnet die Aufmerksamkeit schulen, sagt Elke Maria Koßmann. „Wer die Struktur der Frucht aufmerksam betrachtet, kann gar nicht anders als zu erkennen, wo er lang schneiden muss.“
Anschauungsmaterial lag reichlich auf der Arbeitsfläche der Küche im Hofrestaurant Voigt. Denn Orangen waren bei allen Gerichten des viergängigen Menüs als Zutat dabei. Zunächst gab es Möhren-Suppe mit Orangen, Kürbis und Koriander, danach Chinakohl-Salat mit Orange, Minze, Olivenöl und gehackten Walnüssen, zum Hauptgang Hähnchen mit Orangen-Marmelade, Oliven und Patate el Marsala sowie als Dessert Schmand-Soufflé mit mazerierten Orangen.
Bei der Zubereitung des leckeren Menüs würzte Elke Maria Koßmann ihre Tipps immer wieder mit Hinweisen zu Aufmerksamkeit und Bedachtsamkeit. Etwa als alle Küchengeräte, Zutaten und Gewürze sorgfältig bereitgestellt wurden. Oder als die Hähnchen mit dem Messer auseinander genommen und dann in der großen Pfanne angebraten wurden. Und auch als es zum Schluss darum ging, ein Soufflé zu zaubern, das hinterher nicht zusammenfällt.
An diesem Abend schälte, schnibbelte, schnitt, kochte und genoss die kleine Gruppe der Hobbyköche ganz entspannt und mit sichtlichem Spaß. Und es blieb der gute Vorsatz, dieses Gefühl auch in die eigene Küche zu übertragen.
Mit einer Portion Aufmerksamkeit geht es leichter: Organisator Andreas Troché filetiert eine Orange. FOTOS: UDO MEISSNER