Verein will dem alten Sudweyher Bahnhof neues Leben einhauchen Dornröschenschlaf am Gleisbett

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, eine wunderschöne Prinzessin. Sie lebte in einem prächtigen Schloss und wuchs wohlbehütet im Kreise ihrer Familie auf.
14.05.2017, 00:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Kaya Leimann

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, eine wunderschöne Prinzessin. Sie lebte in einem prächtigen Schloss und wuchs wohlbehütet im Kreise ihrer Familie auf. Eine Fee belegte das Mädchen jedoch mit einem Fluch. An ihrem 15. Geburtstag stach sich die schöne Prinzessin mit einer Spindel in ihren zierlichen Finger und fiel in einen langen Schlaf. Auch das Schloss und seine Bewohner schliefen tief und fest. Allmählich wuchsen Rankenpflanzen und dornige Rosensträucher an der einst glänzenden Fassade hinauf, und das schöne Schloss war nicht mehr wiederzuerkennen. Erst ein Prinz, der sich auf seinem Schimmel einen Weg durch den dichten Wald erkämpfte, schaffte es mit einem Kuss, die Prinzessin und auch die Bewohner des Hauses zum Leben zu erwecken.

Ein schönes Märchen, das sich natürlich nur in der Phantasie der Brüder Grimm abspielte. Und doch gibt es auch in der realen Welt ein Haus, das gewisse Ähnlichkeiten mit dem Schloss in der Geschichte aufweist. Der alte Sudweyher Bahnhof (Gemeinde Weyhe, Landkreis Diepholz) befand sich viele Jahre in einem tiefen Dornröschenschlaf. Wo Zugreisende früher ein und aus gingen, herrschte bis vor Kurzem gespenstige Leere. Wild wucherndes Unkraut säumte die roten Backsteine des Gebäudes in der Raiff-
eisenstraße. Einige Fensterscheiben waren eingeschlagen, andere Fensterläden mit Holzbrettern verbarrikadiert. Auch im Inneren war die Zeit stehen geblieben: alte Möbel, verstaubte Türen und lange Spinnweben, die von der Decke hingen. Das einst mit Leben gefüllte Gebäude schien seine besten Zeiten hinter sich zu haben.

Doch vor einem Jahr änderte sich alles. Ein Artikel in der Zeitung ließ Christine Burda und Sönke van Hoorn aufhorchen. Schon lange hatten sich die beiden an gemeinsamen Abenden über einen Treffpunkt in ihrer Heimat Weyhe unterhalten. Denn mit der Schließung der letzten örtlichen Gaststätte fiel ein weiterer Begegnungsort weg. „Als wir den Aufruf in der Zeitung lasen, in der die Gemeinde um Ideen für das Bahnhofsgebäude bat, kam das wie gerufen“, erinnert sich Burda. Schon bald holten die beiden ihre Freunde Antje Kiel und Andreas Gründemann mit ins Boot, gemeinsam verfassten sie ein Konzept mit ihren Vorschlägen für das Gebäude – und begannen, wie der Prinz im Märchen, den alten Bahnhof aus seinem Dornröschenschlaf zu holen.

Je länger sich das Team Gedanken machte, desto mehr Ideen keimten in ihren Köpfen heran. In einem Kulturcafé im Erdgeschoss könnten lockere Treffen, Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, aber auch private Feiern stattfinden. Da sich der TuS Sudweyhe direkt gegenüber befindet, wären Tagungen in den Räumen möglich, für das obere Geschoss denkt die Gruppe über ein Büro, ein Gästezimmer für Übernachtungen und eine Art Klubzimmer nach. Vielleicht finden in dem ehrwürdigen Gebäude eines Tages sogar Trauungen statt, und ein Biergarten im Außenbereich würde zum Verweilen einladen. „Auch eine Weganbindung an den Weserradweg oder Gästeführungen durch das Bahnhofsgebäude wären möglich“, zeigt Burda die vielfältigen Möglichkeiten auf. Bei einem waren sich aber trotz der vielen Ideen alle einig: Es soll keine Überfrachtung stattfinden. „Wir wollen hier keine Kneipe, sondern einen Treffpunkt, eine Begegnungsstätte einrichten“, betont Gründemann.

Als sich das Team dann Anfang Februar dem Weyher Ausschuss für Bau, Planung und Umwelt vorstellte und auch schon eine ausgearbeitete Skizze für die Aufteilung der Räume im Erdgeschoss mitbrachte, überzeugten sie Politik und Bürger von ihrer Idee. Lauter Applaus und zustimmende Worte bekamen die vier aus dem Publikum und auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte steht bis heute voll und ganz hinter dem Vorhaben. „75 000 Euro sind im Haushalt bereits eingestellt, und wir rechnen auch mit einer Bewilligung des Förderantrags“, so der Verwaltungschef, der den Bahnhof selbst schon oft besucht hat und an dessen Fortschritt interessiert ist. Doch auch wenn der bereits bei der Gemeinde gestellte Förderantrag nicht bewilligt werden sollte, sei das nicht das Ende des Projektes, versprach der Bürgermeister bei einem der jüngsten Treffen direkt vor Ort. Bovenschulte: „Die Umgestaltung des Bahnhofs ist ein konkretes Ziel und wird daran nicht scheitern.“

Die positive Rückmeldung gab der Gruppe neuen Antrieb. Mittlerweile treten sie als eingetragener Verein unter dem Namen „Sudweyher Bahnhof – Kunst und Kultur am Gleis“ auf, und auch ihre Gemeinnützigkeit wurde vom Finanzamt bestätigt. Insgesamt neun Gründungsmitglieder und 60 weitere Helfer haben sich bis heute dem Verein angeschlossen.

Während es nun warten heißt, nahmen die Vereinsmitglieder am 4. März schon mal die ersten Sanierungsarbeiten im und am Gebäude vor. Mit vereinten Kräften entfernten sie die alten Tapeten von den Wänden und entrümpelten die Räume im Ober- und Untergeschoss. „Die Wände auf beiden Seiten des ehemaligen Warteraumes werden eingerissen, und auch die beiden Schornsteine kommen weg“, erklärt van Hoorn, zweiter Vorsitzender des Vereins und hauptberuflicher Architekt. Auch auf dem Außengelände befreiten Helfer die Fläche von Gestrüpp und legten mit Schaufel und Spaten Hand an.

Andere Details, die den Charme des Bahnhofsgebäudes ausmachen und an die früheren Zeiten erinnern, ließen die Gruppe bewusst an Ort und Stelle. Eine weiße Keramiklampe hängt in einem der Räume von der Decke, blaue Aufdrucke zeigen eine Windmühle, daneben weitere Muster. An anderer Stelle bleibt ein Stück der alten Tapete erhalten, um an das frühere Aussehen der Räume zu erinnern. Der Verein kann sich auch vorstellen, historische Fotos in dem Gebäude für spätere Besucher aufzuhängen.

Obwohl dem Haus noch immer seine vielen Jahre Leerstand anzusehen sind, will das Team den Sudweyher Bahnhof schon jetzt für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Deshalb lud der Verein am
1. April Gäste aus der Gemeinde und auch aus der direkten Nachbarschaft für einen umfangreichen Informationstag ein. 300 Besucher strömten an diesem Tag auf das Gelände und schauten sich – viele bestimmt zum ersten Mal – das Gebäude von innen an. In den Räumen bot sich neben einer Besichtigung die Gelegenheit, die erste offizielle Ausstellung von der Künstlerin Uta Peters anzuschauen, begleitet von der Band La Banda Yolanda. Im geplanten Kulturcafé standen auf Klapptischen und in Tupperboxen Kuchen bereit, draußen servierten viele ehrenamtliche Helfer Fleisch und Würstchen vom Grill. Im nahe gelegenen Feuerwehrhaus hielt der Verein Vorträge über die Hintergründe der geplanten Sanierung und über die vielen Ideen. Auch der Pingelheini, historischer Zug des Vereins Kleinbahn Leeste, beteiligte sich an der Aktion und brachte einige der Gäste direkt zum Sudweyher Bahnhof.

Ein weiterer erfolgreicher Tag, den der Verein in seiner jungen Geschichte verbuchen konnte. Aktuell kümmert sich die Gruppe um vertragliche Angelegenheiten, unter anderem um einen Pachtvertrag bei der Gemeinde und die Eröffnung eines eigens für den Sudweyher Bahnhof eingerichteten Kontos. „In den vergangenen Wochen konnten wir weitere Mitglieder gewinnen, unser Ziel wären 100“, berichtet Kassenwart Gründemann.

Außerdem hat der Verein die sogenannte Schienenaktion gestartet. „Wir haben eine Wand im unteren Geschoss entfernt und dabei sind zwei alte, etwa drei bis vier Meter lange Schienen zum Vorschein gekommen. Da kam uns die Idee, dass interessierte Förderer ein Stück der originalen Schiene für eine Spende von 500 Euro erwerben könnten und diese mit einer Gravur auf dem Gelände präsentiert wird“, erklärt Gründemann. Der Verein würde sich um das Abschleifen der Schiene und die persönliche Inschrift kümmern. „Es können sich natürlich auch mehrere Menschen mit ihren Freunden aus der Nachbarschaft oder aus Vereinen zusammenschließen. Das Geld fließt dann zu hundert Prozent in die Sanierung des Bahnhofes.“

Wann genau der Verein richtig loslegen kann, hängt von mehreren Faktoren ab, angepeilt ist jedoch Sommer dieses Jahres. Dann soll der alte Bahnhof endgültig aus seinem langen Schlaf erwachen.

„Wir wollen hier keine Kneipe, sondern einen Treffpunkt.“ Andreas Gründemann
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