Die digitale Welt bietet nicht nur neue Räume, um Texte zu publizieren, sondern erweitert den Kreativspielraum für Autoren. Menschen schreiben E-Mail-Romane, bloggen, was das Zeug hält, dichten mit Mobiltelefonen oder halten ihre literarischen Texte auf Twitter mit 140 Zeichen recht kurz. Und unentwegt kommen innovative Formate dazu. Entsprechend gespannt durfte man im September 2012 sein, als der frisch gekürte Stipendiat der Bremer Netzresidenz des virtuellen Literaturhauses sein Projekt startete: Stefan Petermann wollte anhand von Einträgen in der Zeitleiste von Facebook die Geschichte einer fiktiven Figur erzählen. Woche für Woche veröffentlichte der 35-Jährige Episoden aus dem Leben seines Helden Henry Sy. So entfaltete sich im sozialen Netzwerk nach und nach dessen Biografie.
Inzwischen ist das Projekt abgeschlossen und dort gelandet, wo immer noch die meisten Romane enden, wenn sie einer Publikation für wert befunden werden: zwischen zwei Buchdeckeln. In „Das Gegenteil von Henry Sy“ kann man den Lebensweg des Protagonisten nun auf Papier nachverfolgen. Es ist die Geschichte eines Mannes, der als Kind im Wald eine Bauchredner-Puppe findet, mit deren Hilfe er die Gedanken seiner Mitmenschen erkennen kann.
Diese Fähigkeit nutzt er jahrzehntelang, um für den Geheimbund Obsidian weltweit wichtige Personen auszuhorchen. Privates Glück bringt ihm diese Macht indes nicht, im Gegenteil – die Liebe zu seiner Kindheitsfreundin Magda bleibt über all die Jahre und Seiten unerfüllt.
Dem Leser erschließt sich die Biografie Sys erst peu à peu, da Petermann die Episoden nicht chronologisch angeordnet, sondern wild durchmischt hat. Diese Konstruktion entspricht zwar nicht der Zeitleiste von Facebook, verleiht dem gedruckten Werk dafür einen ganz eigenen Reiz. So lässt sich festhalten: Der Übergang von der virtuellen in die gedruckte Form ist gelungen.
Jens Laloire
Stefan Petermann: Das Gegenteil
von Henry Sy. asphalt & anders,
Hamburg. 224 Seiten, 18,90 .