Als erlesenes und am Ende lautstark bejubeltes Fest der Stimmen ereignete sich die halbszenische Aufführung von Mozarts Jugendoper „Lucio Silla“ im Musicaltheater. In der Titelrolle war Rolando Villazón zu erleben.
Bremen. Anfang August fand die Premiere von Mozarts früher Oper „Lucio Silla“ bei den Salzburger Festspielen statt. Nun präsentierte das koproduzierende Musikfest Bremen sie im Musicaltheater. Die Fassung von Regisseur Marshall Pynkosi und Dirigent Marc Minkowski bezauberte mit einem amüsanten, gerade im tiefsten Ernst ungemein fesselnden Spiel. Verflogen war jegliche Steifheit der Opera Seria wie auch die Nervosität der kaum noch ertragbaren, sich ständig wiederholenden Da-capo-Arien.
Den ersten Teil der um mehr als zwei Stunden gekürzten Aufführung beherrschten die Damen, denn mit einer begeisternden vokalen Offenbarung des Titelhelden Lucio Silla (Rolando Villazón) musste man bis fast zum Ende warten. Sillas Prunkarie stammt gar nicht von Mozart. Wie denn das? Mozart pflegte 1772 in Mailand, wie stets, nach den Möglichkeiten der auftretenden Künstler zu komponieren. Das geschah auch für Lucia Silla, dem er vier virtuose Arien festschrieb. Aber der vorgesehene Sänger musste wegen Erkrankung absagen; in der Not holte man einen „Kirchsänger aus Lodi“, der den Anforderungen nicht im Geringsten gewachsen war. Und der junge Komponist sah für ihn nur noch zwei relativ einfache Arien vor.
Nun gibt sich ein Titelheld, zumal ein Star, nicht damit zufrieden, auf jeglichen Glanz verzichten zu müssen, weshalb man das große Finalbekenntniss von einem anderen „Lucio Silla“ entlehnte, aus einer zwei Jahre später in Mannheim uraufgeführten Oper des Bach-Sohnes Johann Christian.
Man staunt ja immer wieder, wie der 16-jährige Wolfgang Amadeus die gestrengen Seria-Methoden aufweichte und wie tief er in die Herzen der Menschen blicken konnte, besonders dann, wenn von Gruft und Kerker, Aufopferung, Selbstüberwindung und vom Abschied des dem Tode nahen Geliebten die Rede ist. Doch Marc Minkowski beleuchtete nicht nur diese Szenen mit besonderer Wärme und Innigkeit, sondern ließ seine ungemein beredsamen, mental total beteiligten und mit strahlender Frische aufwartenden Musiciene du Louvre Grenoble wunderbar musizieren.
Die Sänger wissen genau, was sie dieser Musiziergemeinschaft schulden: ein Fundament, auf dem sich ihr vokales Potenzial so entfalten kann, dass das Auffinden von inneren Schauplätzen, das Spiegeln der vielen Situationen in variablen Klängen möglich ist.Rolando Villazón ist wieder ganz im Besitz seiner kraftvoll strahlenden Stimme, singt diszipliniert (also ohne Mätzchen) geradezu mit schwärmerischer Emphase einen Tyrannen, der sein Liebesbegehren ausgerechnet auf Giunia richtet, deren Vater er ermorden ließ und deren Bräutigam er in Verbannung schickte. Schon dadurch ergaben sich theaterwirksame Konflikte, ehe Silla allen Liebespaaren verzeiht und seine Macht dem Volke überträgt.
Die leidgeprüfte Giunia erhält durch Olga Peretyatko ein facettenreiches Profil, gewonnen durch die agile Anmut der Darstellung und durch die Schönheit des souveränen Gesangs. Marianne Crebassa, hier der durch alle Liebesleiden gehetzte Bräutigam Cecilio, erweist sich als intensiv gestaltender Mozart-Mezzo: groß im Ausdruck und Gefühl, grandios im Bewältigen des monströsen Arienpakets. Auch das zweite Paar – Inga Kalna als treuherziger Cinna und Eva Liebau als lyrisch bezwingende Celia – beweist seine Herkunft aus Mozarts Schule der noblen Gesangskunst. Und wenn man außerdem den Salzburger Bachchor zur Verfügung hat, rundet sich ein Bühnenfest der feinsten Art.
Die Aufführung des „Lucio Silla“ wird heute (Beginn 19 Uhr) im Musicaltheater wiederholt. Unser Tipp: Nicht versäumen!
Fotostrecken zum Musikfest finden Sie unter www.weser-kurier.de/freizeit