Skulpturen mit zwei Namen, die in die Irre führen, gefesselte und gelenkte Blicke und eine Um-Inszenierung gegen Ende November: „Der Zweite Blick“ heißt die aktuelle Gemeinschaftspräsentation aus Specksteinfiguren und Malereien in der Kleinen Galerie Eichenberger Straße.
„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?“, kommt es manch einem bei dem Titel „Erlkönigjagd“ einer Speckstein-Skulptur von Ulrike Wilkens schnell in den Sinn. „Falsch assoziiert“, lacht die Künstlerin aus Achim, denn der Begriff stammt aus dem Metier der Berufsfotografen und der Automobilindustrie. Neue Fahrzeugmodelle würden vor ihrer Markteinführung – weit entfernt von möglichen Zaungästen – in norwegischen Einöden auf ihre Fahreigenschaften getestet. Das diene der Geheimhaltung. Fotografen, denen doch einmal ein solches Modell vor die Linse käme, verdienten mit den Bildern viel Geld. Soviel zum Thema Jagd.
Wer also an Goethes Gedicht denkt, ist der Hobby-Bildhauerin auf den Leim gegangen. Nichts ungewöhnliches, wie Helga Busch, Inhaberin der Kleinen Galerie an der Eichenberger Straße, längst weiß: „Bei ihren Arbeiten gibt es immer ein kleines Augenzwinkern, man wird immer ein wenig gefoppt.“ Die besagte Skulptur besteht aus Füßen und Händen – und einer Fotolinse. Sogar ohne den Titel verursacht sie Irritation. Können Hände in dieser Haltung die eigenen Füße greifen? Selbst ein gelenkiger Yogi mag damit seine Schwierigkeiten haben. Wer nicht um die Geschichte hinter dem Titel weiß, wird jedoch spätestens bei der Entdeckung des Objektivs aus dem Konzept gebracht.
Durch Job auf Bildhauerei gekommen
Das kommt davon, dass Ulrike Wilkens spielt. „Manchmal“, sagt sie, „finde ich gut, was ich mache. Manchmal finden es andere gut und nennen es Kunst.“ Sie erzählt ganz entspannt von ihrem Hobby, da ist kein Erfolgsdruck. Muss auch nicht, denn Wilkens ist von Berufs wegen Informatikerin. Beides gänzlich voneinander unabhängige Betätigungsbereiche, könnte man meinen. Doch auch das ist verkehrt. Sie sei sogar durch den Beruf auf die Bildhauerei gekommen, berichtet die Leiterin des Medienkompetenzzentrums an der Hochschule Bremen. Für ein Projekt, bei dem medienbasierte Ideen für Museen der Stadt Delmenhorst entwickelt werden sollten, wollte sie eine Computermaus aus Stein kreieren. So wollte sie eine greifbare Verbindung zu der im 18. Jahrhundert zerstörten Delmenhorster Burg herstellen.
Statt jedoch historisch wertvolles Mauergestein zu verwenden, nahm Wilkens Speckstein, ließ sich von Kalle Dütschke, einem Asendorfer Bildhauer, in dessen Kunst einführen, und kam so zu ihrem neuen Ausdrucksmittel und Hobby. Ulrike Wilkens spielt gern mit Assoziationen und Formen. Sie fragt: Wie kann ich Begriffe skulptural umsetzen? Welche weiteren Möglichkeiten ergeben sich? So verleitete sie der Ausstellungstitel „Der zweite Blick“ zu einer Doppelbenennung ihrer steinernen Karikaturen. Der andere Titel zur „Erlkönigjagd“ lautet „Tut sich immer noch nichts?“ – und das Objektiv der Statur deutet, als hätte es genau so sein sollen, auf eine dahinter hängende, rot-blaue Alleen-Ansicht. Das Bild im Stil des Expressionismus stammt von Holger Hertwig aus dem Peterswerder, einem weiteren Künstler der Gemeinschafts-Ausstellung. Gleich daneben geht es landschaftlich weiter. Die Aquarelle hat die Findorfferin Christa Siegmüller gemalt, die Dritte im Bunde. Auch einige Acryl-Malereien kommen von ihr, es besteht eine thematische Nähe zwischen Siegmüllers und Hertwigs Bildern. Doch der Unterschied zwischen den beiden Künstlern ist stilistisch leicht auszumachen: Siegmüllers Malerei ist sanft, während Hertwigs Ansichten immer wieder den Blick des Betrachters mit dynamischem Strich über den Bildrand hinausschleudern, einerseits Raum fordern und andererseits schon wieder in das nächste Bild hineinlenken.
Insgesamt bleibt es in der Ausstellung assoziativ, verbindend, thematisch geordnet. Doch so muss es sein, meint Ulrike Wilkens. „Der zweite Blick wird nur möglich, wenn der erste hängen geblieben ist“, weiß sie. Die Arbeit einer Galeristin, so, wie Helga Busch sie seit 2005 in ihrer Kleinen Galerie verrichte, unterstütze diesen zweiten Blick sehr. „Sie ließ uns nicht gehen, bis alles perfekt war“, erzählt Wilkens vom Prozess der Bildhängung und Anordnung .
Und dann hat Wilkens noch eine weitere Variante des „Zweiten Blicks“ im Kopf: Im Fenster zur Eichenbergerstraße steht eine Ansammlung kleiner, gleichartiger Skulpturen. Sie erinnern an Loriots Knollennasenmännchen, dabei waren es Hand- und Handhaltungsstudien, die Wilkens zu deren Schaffung inspiriert haben. Die Gruppierung trägt zur Zeit nur einen einzigen Namen: „Reisegesellschaft am Großglockner“. Doch schätzungsweise gegen Ende November sei damit zu rechnen, dass die Reisegesellschaft angekommen sei und sich im Raum verteile. Dann wird er sich vielleicht noch einmal lohnen – der zweite Blick.
Die Ausstellung „Der zweite Blick“ ist bis zum 21. Dezember in der Kleinen Galerie, Eichenberger Straße 62, zu sehen. Öffnungszeiten sind freitags von 15 bis 19 Uhr und sonnabends von 13 bis 18 Uhr oder nach telefonischer Absprache unter 04262/2486.