"Ignoriert zu werden, war ich gewohnt" Oscargewinner Freydank drehte den "Tatort: Heimatfront" (So., 23.01., 20.15 Uhr, ARD)

Ein waschechter Oscar-Gewinner, der einen "Tatort" dreht - Jochen Alexander Freydank hat natürlich eine Menge zu sagen über den Produktionsstandort Deutschland.
31.12.2010, 00:00 Uhr
Lesedauer: 5 Min
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Von Claudia Nitsche

Ein waschechter Oscar-Gewinner, der einen "Tatort" dreht - Jochen Alexander Freydank hat natürlich eine Menge zu sagen über den Produktionsstandort Deutschland.

Und plötzlich machte alles Sinn: Der Berliner Jochen Alexander Freydank investierte viel zu viel Zeit und dann auch noch das eigene Geld, um einen Kurzfilm zu drehen, wieder mal. "Spielzeugland" hieß er - und er gewann 2009 den Kurzfilm-Oscar in Hollywood. Zwei Jahre später ist der Do-it-yourself-Mann in die Riege der "Tatort"-Regisseure aufgestiegen und auch darauf stolz wie Oskar. Seine souveräne Inszenierung der Saarland-Folge "Heimatfront" (Sonntag, 23. Januar, 20.15 Uhr, ARD) war für ihn ein Spaziergang. Warum dieser Dreh Luxus für den Berliner war, erklärt er im Interview ebenso wie seine Einsicht, dass es vielleicht gut war, dass ihn die Filmhochschulen immer wieder ablehnten.

teleschau: Bei der Oscarverleihung haben Sie gesagt: Ich hoffe dieser "Glatzkopf" wird uns allen bei unseren Karrieren helfen ... Hat er?

Jochen A. Freydank: Die Auszeichnung hat nicht geschadet (lacht). Sie hat mich weitergebracht, aber der Oscar ist kein Selbstläufer. Das habe ich auch nicht erwartet. Es ist nach wie vor mühsam für alle im Team. Mein Ziel ist ein Kinoprojekt in die Gänge zu bringen. Aber wir Deutschen sind nun mal nicht die Euphorischsten. Der "Tatort" wurde allerdings schon vor meinem Oscar in trockene Tücher gepackt.

teleschau: War die Auszeichnung mit dem Oscar ein Genussmoment?

Freydank: Natürlich. Obwohl ich eigentlich etwas zu kopflastig bin. Ich denke zu oft an das, was danach kommt. Freue mich zu wenig über das Getane, bin mit den Gedanken beim Nächsten. Das treibt mich mitunter weg von den schönen Momenten.

teleschau: Waren Sie deshalb so lässig? Gestottert haben Sie jedenfalls nicht.

Freydank: Früher grummelte mir wahnsinnig der Magen, wenn ich auf die Bühne musste. Irgendwann sagte ich mir damals: Das, was jetzt passiert, ist Belohnung. Die Nominierung bei "Spielzeugland" hätte mir schon gereicht und geholfen. Den Rummel danach habe ich unterschätzt. Ich dachte, Kurzfilm ignoriert man, und ignoriert zu werden, war ich ja gewohnt.

teleschau: Fünfmal wurden sie an Filmhochschulen abgelehnt.

Freydank: Es könnte auch sechsmal gewesen sein ...

teleschau: Heißt das, dass Sie durchsetzen, was Sie sich vorgenommen haben, egal wie dickköpfig man dafür sein muss?

Freydank: (lacht) Bei Boxern spricht man von Nehmerqualitäten. Mit Ablehnung musste ich schon sehr früh umgehen. Viele Drehbücher, die ich geschrieben habe, wurden ja nicht mal gelesen. Wenn man Bücher hinschickt und überhaupt eine Antwort bekommt, auch wenn es eine Ablehnung war, war das schon beinahe ein Erfolg.

teleschau: Das klingt ja sehr pessimistisch.

Freydank: Nö, realistisch. Ich habe mal bei einer Produktionsfirma gearbeitet, an die ich eine Weile zuvor ein Drehbuch geschickt hatte. Ich fand es mit einem Strick drumherum im Schrank, dessen Inhalt für den Grünen Punkt vorgesehen war.

teleschau: Sie haben sich alles Wissenswerte selbst beigebracht ...

Freydank: Mit 20 war ich Cutter, ja. Das war der Grundstein. Ich will nicht altersweise klingen, aber im Nachhinein denke ich, vielleicht hätte ich mit den Leuten auf den Filmhochschulen auch gar nicht gekonnt. Die hatten eine andere Ästhetik, die mir als Freund der großen Bilder alles andere als lag. Also hätten sie mir was austreiben müssen, was ich als meine Stärke sehe, oder ich hätte etwas nachahmen müssen, was ich nicht mag. Insofern beruhte das Sich-nicht-mögen vielleicht auf Gegenseitigkeit.

teleschau: Welche Freiheiten wollen Sie sich bewahren, beziehungsweise wo liegen Ihre Stärken?

Freydank: Ich mag es, eigene Welten zu erschaffen, sei es in der Psychologie von Figuren oder ästhetisch. Ich kann aber mit Formaten umgehen, Vorgaben selbstverständlich umsetzen und Spielregeln beachten. Ich habe viel Fernsehen gemacht. Wenn ich zum Beispiel für eine Serie schreibe, bei der der Hubschrauber der Hauptdarsteller ist, weiß ich, was gemeint ist. Und beim "Tatort" gibt es eine Leiche. Das ist gut und in Ordnung so.

teleschau: Hatten Sie denn Angstschweiß auf der Stirn während des "Tatort"-Drehs?

Freydank: Nein, erstaunlicherweise nicht. Beim Drehen war ich - das klingt arrogant - aber ich war wirklich sehr ruhig. Ich habe zehn Jahre als Assistent am Set gestanden, habe selber produziert, unter extrem schweren Bedingungen meine eigenen Sachen gedreht, bei denen ich Angst hatte, dass einer mit einer Pfändung um die Ecke kommt, weil ich mich gerade wieder ruiniere. Eine spannende Geschichte in 21 Tagen zu erzählen, ist dagegen fast Luxus. Ich kann in die Tiefe gehen, mich auf meine Arbeit als Regisseur konzentrieren. Es war wie nach Hause kommen, nur eben nach Umwegen über Drehbuchautor, Produzent, Aufnahmeleiter, Regieassistent.

teleschau: Sind Sie durch Ihren Lebensweg zum Einzelkämpfer geworden?

Freydank: Weiß Gott nicht. Am Set kannst du gar nicht als Einzelgänger bestehen, da fällst du nach einer halben Stunde auf die Fresse (lacht). Ich glaube, dass das in der ganzen Branche nicht funktioniert. Hin und wieder finde ich das Drehbuch schreiben zwar toll, aber nur als Autor - das wäre mir zu einsam. Ich mag die Arbeit am Set lieber, dieses komische Gefühl nach dem ersten Drehtag, dass man sich schon ewig kennt. Obwohl es Quatsch ist.

teleschau: Verzetteln Sie sich leicht, wenn Sie so viele unterschiedliche Dinge tun?

Freydank: Meine Richtung war immer klar: Ich wusste mit 14 schon, dass ich Regisseur werden will, dachte, mit 18 habe ich meinen ersten großen Film, hatte dafür auch schon ein ganz tolles Buch geschrieben. Es hat aber ein bisschen länger gedauert.

teleschau: Welche Rolle spielt da Ihre Jugend im Osten?

Freydank: Das ist schwer zu sagen. Ein überbehütetes Land kann nerven, wirft Fragen auf, wo macht man mit, wo versucht man sich rauszuhalten, das prägt. Es wäre aber sicher zu einfach, zu sagen, dass ich als nächstes Projekt "Der Bau" von Franz Kafka fürs Kino inszenieren will, weil meine Kindheit hinter der Mauer passierte (lacht)...

teleschau: Woher bezogen Sie für den "Tatort" Ihr Wissen über den Krieg?

Freydank: Ich habe sehr viel recherchiert. Sowohl was die Verhältnisse in Afghanistan betrifft als auch über die psychologischen Probleme von Kriegsheimkehrern. Schon allein der Begriff Kriegsheimkehrer ist ein Kapitel für sich bei einem Krieg, der nicht offiziell Krieg heißt. Ich hatte das zweifelhafte Vergnügen in der NVA anderthalb Jahre diesen blöden Grundwehrdienst zu machen, vertrödelte Zeit, aber ein paar Sachen, die ich dort erlebte, haben die Arbeit an diesem "Tatort" sicher beeinflusst. Ich habe damals einen Amoklauf und einen Selbstmordversuch aus der Nähe gesehen. Das hat gar nichts mit Afghanistan zu tun, aber es sind Erfahrungen, die einen Extremsituationen irgendwie verstehen lassen. In meiner NVA-Zeit habe ich mich jedoch viel verpisst, da ich keinen Bock auf sehr viele Sachen dort hatte - da hat mir mein bisschen Schauspieltalent geholfen.

teleschau: Warum soll Ihrer Meinung nach Politik in der Abendunterhaltung passieren?

Freydank: Die Stärke vom "Tatort" ist, dass er auch gesellschaftlich relevante Themen erzählen kann und doch spannend ist. Es ist ja keine Lösung, nur buntes Kaspertheater zu machen, bei dem ganz viele zugucken und danach richtig harte Themen, bei denen keiner zuguckt. Ich bin eh jemand, der früh ans Publikum denkt.

teleschau: Was verstehen Sie darunter?

Freydank: Es gibt Regisseure, die Angst haben, verstanden zu werden, und die, die Angst haben, nicht verstanden zu werden. Ich will verstanden werden, nicht zeigen, dass ich schlauer bin als der Rest, mache es mir aber nicht leicht, übersetze Themen, die nicht ganz einfach sind, in eine filmische Sprache. Ich mag es, wenn das Publikum dran bleibt, obwohl ich keinen Weichspüler benutze.

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