Neun „Gesichter des Bösen“ prangen auf dem Einband des gleichnamigen Buches, in dem 159 weitere Menschenfeinde versammelt sind. Hitler, Stalin, Mao – die Millionenmörder. Idi Amin, Augusto Pinochet und Osama bin Laden. Aber auch Paul Ludwig von Hindenburg, Mustafa Kemal Atatürk und der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. Da will man dann doch wissen, wer es noch geschafft hat in diese „Walhalla der Schande“, wie der Journalist und Jurist Heribert Prantl das Kompendium in seinem Geleitwort nennt.
Man wird überrascht und erschreckt: Selbst demokratische Strukturen schützen nicht vor monströsen Untaten, begangen, angeordnet oder zumindest geduldet von allerhöchster Stelle. Das 20. Jahrhundert als historische Verdichtung des Grauens.
Aber warum auf knapp 300 Seiten in aller Kürze 168 Diktatoren, Menschenverächter, Kapitalverbrecher vorstellen? Zudem haben die beiden jungen Autoren auch noch den Anspruch, über die rein ideologisch motivierte Gewalt hinaus zu gehen. Ihr Katalog reicht von Völkermord und Kriegsverbrechen bis zu Racketeering, also schwersten Formen Organisierter Kriminalität. Aber auch Wahlbetrug als „gewalttätige oder betrügerische Form politischer Unfairness“ und „Delikt gegen die Volkssouveränität“ taucht auf. Alle gelisteten Verbrecher haben sich mehrerer Delikte schuldig gemacht.
Der Jurist Till Zimmermann und der Historiker Nikolaus Dörr benennen klar die Knackpunkte ihres Projekts. Wie definiert und misst man „das Böse“? Darf man die zivilen Opfer von Hiroshima und Dresden mit jenen in Auschwitz vergleichen? Ja, meinen sie, wenn man sich an die geläufigen juristischen Verbrechensdefinitionen hält. Deshalb taucht im Buch Arthur Harris, Befehlshaber der britischen Bomberflotte, ebenso auf wie Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß. Bei der Auswahl habe man sich „prinzipiell an der Schuldschwere der Urheber aller bekannten Verbrechen des 20. und 21. Jahrhunderts orientiert.“
Die Kurzbiografien sind nicht etwa alphabetisch von Abacha (Nigeria) bis Zia ul-Haq (Pakistan) geordnet, sondern chronologisch nach Geburtsjahren. Es beginnt mit dem belgischen König Leopold II., geboren 1835, und endet mit dem Terroristen Mohammed Atta, geboren 1968. Ein genialer Kniff, so sieht man die Verbrecher in der Nachbarschaft ähnlich übler Zeitgenossen.
Dem deutschen Kolonialoffizier Lothar von Trotha folgt etwa Horatio Herbert Kitchener. Beide führten ihre afrikanischen Feldzüge mit ungeheurer Brutalität auch gegen die Zivilbevölkerung: Hier gegen die aufständischen Herero, dort gegen die aufständischen Buren. Die Fotos ihrer Opfer sind klein und grobkörnig, doch sie erschüttern bis heute: zum Skelett abgemagerte Herero und das sterbende siebenjährige Burenmädchen Lizzie van Zyl, von Hunger und Typhus dahin gerafft im britischen KZ Bloemfontein.
Das Buch nennt auch jene Täter, die nie zur Rechenschaft gezogen wurden, ja hochgeehrt blieben. An der Verstrickung Atatürks in die Massaker an Griechen und Kurden zweifeln bis heute türkische Nationalisten. Der US-Präsident William McKinley ist bis heute Namensgeber des höchsten Berges Nordamerikas – dabei hat er um die Jahrhundertwende auf den Philippinen bewiesen, dass der totale Krieg keineswegs erst von den Nazis erfunden wurde.
Völkerrechtler sprechen heute von „Makro-Kriminellen“. Das Buch „Gesichter des Bösen“ ist ein sehr starkes Argument für eine globalisierte Rechtsprechung.