Eine fast unglaubliche und doch auf Tatsachen beruhende Geschichte erzählt der Regisseur Jean-Pierre Améris in seinem Film „Die Sprache des Herzens“. Es geht um das Mädchen Marie Heurtin, die Ende des 19. Jahrhunderts blind, stumm und taub auf dem Hof ihrer Eltern lebt und von einer engagierten Ordensschwester aus ihrer Isolation geholt wird. Das ist großes Gefühlskino aus Frankreich, das von seinen ausgezeichneten Hauptdarstellerinnen lebt.
Zugegeben, der deutsche Titel des Films „Die Sprache des Herzens“, hört sich an, als wenn ein Schlagertext des seligen Roy Black verfilmt worden wäre. Das klingt nach Kitsch. Aber das ist es wahrlich nicht, was die Zuschauer erwartet. Gleich die erste Szene schlägt einen in den Bann. Das Licht der Sonnenstrahlen bricht durch die Bäume, und Marie – 10 Jahre alt – sitzt auf dem Kutschbock neben ihrem Vater und versucht, nach den reflektierenden Strahlen zu greifen. Sie ist blind und stumm, kann aber offensichtlich die Hell- und Dunkelphasen unterscheiden, und freut sich über die Kutschfahrt und die Nähe zu ihrem Vater. Allerdings nicht lange. Als die Eltern von Marie Heurtin (Ariana Rivoire, die im wirklichen Leben zwar nicht blind, aber taubstumm ist) ihre Tochter zur Betreuung ins Kloster bringen wollen, lehnt die Oberin zunächst ab: Zu extrem ist Maries Verhalten nach der Ankunft. Das Kind gebärdet sich eher wie ein wildes Tier, verweigert, abgesehen von einem Nachthemd, jegliche Kleidung, versteckt sich auf Bäumen und wirkt verstört. Allein die selbst kränkliche Klosterschwester Marguerite will nicht aufgeben und sieht es als ihre Lebensaufgabe an, Marie zu helfen und sie aus ihrer Isolation zu befreien. Wie sie das versucht, mutet anfangs eher wie Nötigung an: Konsequent sollen Marie Dinge aufgezwungen werden, die sie nicht will: Beim Essen muss sie Messer und Gabel benutzen, nachts im Schlafsaal schlafen und natürlich in Strümpfen und Schuhen durchs Leben gehen. Lange wehrt sich Marie gegen die Versuche Marguerites, sie zu zähmen, doch nach und nach ändert sich ihr Verhalten: Dank ihrer Geduld gelingt es der Ordensschwester, mittels auf die Hand „geschriebener“ Zeichen, zu dem Kind durchzudringen und ihr eine neue Welt zu öffnen. Marguerite erzählt in „Die Sprache des Herzens“ mit einer Doppelung des Geschehens selbst aus ihren Tagebuchaufzeichnungen über die Mühen, die Verzweiflung, aber auch die Hoffnung und Freude, die entstehen kann, wenn man lernt zu kommunizieren. Erst durch das Wunder der Sprache – in diesem Fall die Gebärdensprache – nimmt das taubstumme und blinde Mädchen Kontakt zu ihrer Umwelt auf und beginnt sich zu entfalten.
Das alles wird vom Regisseur Jean-Pierre Améris in diesem ungewöhnlichen und von Emotionen getragenen Film äußerst gelungen in Szene gesetzt. Untermalt von sparsamen Celloklängen, ist der Klosteralltag und die idyllische Umgebung in zarten Pastellfarben fotografiert.
Dabei nähert sich der Regisseur der Geschichte selbst so vorsichtig, wie Marguerite auf Marie zuging. Obwohl es um einen auf beklemmende Weise in sich gefangenen Menschen geht, ist man von der Offenheit der Figuren von Anfang an fasziniert.
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