Horst Dieter Ottn alias „The Dad Horse Experience“ ist Musiker. Mit Banjo und Fußorgel zieht der 52-Jährige durch die verrauchtesten Kneipen Europas – zu Hause im Bremer Viertel ist er nur wenige Monate im Jahr. Sein „Keller-Gospel“ brachte ihn bis nach Australien und West Virginia, wo er Crystal-Meth-Köche und Puritaner kennenlernte. Nachdem ihn Drogen und Alkohol fast zugrunde gerichtet hatten, fand er in der „White-Trash“-Kultur der amerikanischen Südstaaten zu sich selbst. Max Polonyi unterhielt sich mit Ottn über Religion und Musik und fragte ihn, wo auf der Welt es sich am besten lebt. Für Interessierte gibt es weitere Informationen und Konzerttermine unter www.dad-horse-experience.org.
Herr Ottn, Kaffee oder Whisky-Cola?
Horst-Dieter Ottn: Definitiv Kaffee.
Trinken Sie keinen Alkohol?
Nein. Kein Alkohol, keine Drogen und keine Zigaretten.
Das klingt asketisch. Essen Sie Fleisch?
Das schon, aber kaum. Und wenn, dann lieber von glücklich gestorbenen Tieren, soweit man das bei Bioware sagen kann.
Hat Ihre Lebensweise etwas mit Religion zu tun? Immerhin nennen Sie sich selbst den „Banjoprediger“.
Ich habe etwas Spirituelles gefunden, als ich vor 15 Jahren clean und trocken wurde. Davor hatte ich gar nichts. Alles, was ich seitdem tue, hat einen gewissen spirituellen Hintergrund. Und ich spreche und singe darüber.
Also haben Sie so etwas wie eine Mission, wenn Sie mit Banjo und Fußorgel ihren „Keller-Gospel“ singen?
Ich habe eine Botschaft, die lautet: Veränderung ist möglich, und es hilft, wenn man etwas hat, woran man glaubt. Ich will aber niemandem vorschreiben, was er denken soll, sondern sage nur: Entscheide dich. Ich erzähle in meinen Liedern Geschichten, die die Leute dazu bringen sollen, nachzudenken.
Glauben Sie an Gott?
Ich glaube daran, dass es hilfreich ist, eine Beziehung zu etwas zu suchen, das außerhalb der eigenen Person ist. Die Kirche oder die Bibel ist das für mich aber nicht, sondern eher etwas wie Spiritualität. Ich halte mich an ein Zitat, das David Bowie zugeschrieben wird: Religion ist für Menschen, die an die Hölle glauben, und Spiritualität ist für diejenigen, die schon mal da waren.
Waren Sie schon mal in der Hölle?
Es gab eine Zeit, in der bin ich tiefer und tiefer in Depression und Drogen abgestürzt. Selbstmordgedanken haben mich tagsüber mehr beschäftigt als die Frage, was ich aus meinem Leben machen könnte. Irgendwann musste ich eine endgültige Entscheidung treffen, Leben oder Tod, und habe mich gegen die Sucht entschieden.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Eigentlich nicht. Manchmal denke ich aber schon: Wie wird es zu Ende gehen? Werde ich von einem Verrückten nach einem Auftritt erstochen? Oder sterbe ich bei einem Autounfall? Wird es weh tun, werde ich jammern?
Sie fliegen ja auch viel.
Genau, Flugzeugabstürze. Ich habe Flugangst. Aber die nehme ich auf mich und versuche, mein Kreuz zu tragen wie ein Mann. Eigentlich bin ich überhaupt nicht scharf darauf, zu fliegen und die Welt zu sehen. Von Haus aus bin ich ein häuslicher Typ.
Wo sind Sie denn zu Hause?
Geboren bin ich in Jever, jetzt lebe ich in Bremen, denn meine zwei Kinder leben hier. Das Viertel ist schön, da ist alles nah beieinander. Man trifft immer jemanden, den man kennt, das ist sehr speziell an Bremen. In Berlin guckt dir keiner in die Augen, in Bremen ständig. Das mag ich.
Und wo auf der Welt sind Sie am liebsten?
Ich bin sehr Amerika-affin. Ich schätze die Gospeltradition des „White Trash“, also der weißen amerikanischen Unterschicht. Das ist eine besondere Kultur der Härte. Sie ist viel einfacher und ein bisschen dreckiger als der Gospel, den wir Deutschen aus Liedern wie „Oh Happy Day“ kennen.
Das müssen Sie mir erklären.
Gewalt, Tod und Armut sind in manchen Teilen der USA viel drohender als bei uns. Sozialversicherungen kennen viele nicht. Das Bedürfnis nach Halt ist deshalb viel größer, und das findet sich in der Kultur wieder. Ich war mehrmals in West Virginia, und da gibt es eine winzige pfingstlerische Kirche. Die Leute fassen im Gottesdienst Schlangen an und trinken Bleiche, um sich zu ihrem Glauben zu bekennen – wie vor 100 Jahren. Sie sind arm, haben amerikanische Flaggen vor ihrer Tür, jedes fünfte Haus ist eine Kirche und jedes zehnte ein Crystal-Meth Labor. Aber sie sind unheimlich nett, gastfreundlich und in ihrem Glauben authentisch. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt.
Und seitdem liefern Sie den Soundtrack zu dieser Hillbilly-Kultur?
Ich orientiere mich daran, verdrehe und verfremde das Ganze und mache etwas Eigenes daraus. In Deutschland ist es heutzutage schwierig mit Religion und Spiritualität, da ist man schnell das gläubige Schaf oder der Esoterik-Typ. In West-Virginia ist der Hintergrund ganz anders. Da geht ein „God bless you“ viel leichter über die Lippen. Wenn ich Ihnen zum Abschied „Gott segne Sie“ sagen würde, würden Sie vermutlich erst mal zusammenzucken, oder?
Vermutlich. Mit der Musik haben Sie aber in Bremen angefangen. Sie haben einen ungewöhnlichen Stil für die norddeutsche Tiefebene.
Ja. Nach meiner Entscheidung für die Abstinenz wollte ich einfach irgendwas mit meinem Leben tun. Ich ging in die Bibliothek, und da fiel mir ein Lehrbuch fürs Tenorbanjo auf. Das hat mich gereizt. Danach war ich in einem Musikladen im Viertel, doch die Banjos waren über meinem Budget. Aber noch im Laden treffe ich vollkommen überraschend einen Bekannten, der mir erzählt, er habe noch eines im Keller stehen. Das hat er mir dann geschenkt. Einfach so.
Eine göttliche Fügung?
Das kann man so sehen. Und warum nicht? Ich war morgens bereit dafür, etwas zu tun, und das Ergebnis war, dass ich am Abend ein Banjo in der Hand hielt. Und heute bestimmt das mein Leben.
Welche Musik haben Sie mit 17 Jahren gehört?
Die Bands Bauhaus und Birthday Party, mit das Schlimmste an Punkmusik was es damals so gab. Zu der Zeit habe ich in besetzten Häusern gewohnt und die Sau rausgelassen. Drogenpartys und harte Musik waren mein Ding. Aber dann wurden die Drogen härter und die Musik egal, und es ging immer weiter abwärts.
Und was hören Sie inzwischen?
Später habe ich Künstler und Melodien gefunden, die etwas anderes in mir ausgelöst haben. Die „American Recordings“-Alben von Johnny Cash zum Beispiel. Ich dachte immer, Gospel singen wäre peinlich und was für Kirchengänger, aber als Cash das gemacht hat, war es irgendwie cool.
Warum ist es „cooler“, wenn Johnny Cash von Gott singt, als wenn es ein Pastor oder der Kirchenchor tut?
Pastoren, die ich hierzulande erlebe, reden von Erlösung, und ich frage mich: Wovon willst du denn erlöst werden? Wir leicht übergewichtigen Kinder der Mittelklasse ohne große Not und ohne große Schuld. Johnny Cash ist durch die Hölle gegangen. Er hat viele Dinge getan, für die es sich lohnt, sich zu schämen, wie seinen Drogenkonsum. Und er hat sich dafür geschämt. Es ist eine Frage der Authentizität. Wenn er mit seiner alten, verlebten Stimme um Erlösung bittet, dann kaufe ich es ihm ab. Gospel handelt davon, von einem Schmerz erlöst zu werden. Bei Johnny Cash kann ich diesen Schmerz hören, und auch in der Pfingstgemeinde von West Virginia. In den Kirchen hierzulande eher nicht.
Johnny Cash war über Jahrzehnte ein gefeierter Star. Können Sie eigentlich von Ihrer Musik leben?
Ja, gerade so. Es kommt nicht wirklich viel Geld dabei herum, aber ich bin froh, dass es mir reicht und das ich damit auskomme. Das hält mich in Betrieb. Ich bin sehr zufrieden damit, wie es bisher gelaufen ist. Ich habe tolle Touren gemacht und schöne Konzerte gespielt. Aber finanziell gesehen hängt mir die Möhre immer noch zehn Zentimeter vor der Nase.
Wie sind Sie eigentlich auf Ihren Namen gekommen, „The Dad Horse Experience“?
Wenn man den Namen hört, soll man sich fragen: Was ist das denn? So schreibe ich auch meine Lieder. Ich will die Hörer dazu bewegen, sich eigene Gedanken zu machen und die Musik selbst zu interpretieren. Ich möchte ihnen etwas geben, dass sie unbewusst dazu zwingt, es mit Sinn zu füllen. Sie stellen sich dann etwas Eigenes darunter vor. Hoffentlich etwas für sie Sinnvolles. Und dann habe ich mein Ziel erreicht
Horst-Dieter Ottn
Der Bremer Banjomusiker spricht über die „White Trash“-Kultur der USA, über Gospel und erzählt, wie er zu seinem
eigenen Glauben fand.
Interview
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