Hamburg. Schweiz, Ende des 19. Jahrhunderts: Ein Schuss fällt. Irene Adler geht zu Boden. Ihr Begleiter, Markenzeichen Deerstalker-Schirmmütze, verfolgt den Schützen und erwischt ihn. Es kommt zum Kampf. Zu einem Kampf, den der Mörder mit Namen Moriarty nicht überleben soll. Szenenwechsel und Zeitsprung in die Zukunft. Eine Projektion teilt dem Publikum mit, dass es sich im Jahr 1910 befindet. Und in England. Das wird aber auch spätestens in der nächsten Szene klar: Zwei Männer fortgeschrittenen Alters sitzen entspannt und ein bisschen selbstgefällig in ihren Ohrensesseln vor dem Kamin, während ihnen Tee serviert wird. Auf dem Teewagen liegt ein großer Stapel Briefe. Es sind Briefe von Menschen, die die Hilfe der beiden Männer erbitten.
Stets aktueller Meisterdetektiv
So beginnt es, das neue Musical am Hamburger First Stage Theater, das sich einer literarischen Kunstfigur nähert, die der britische Schriftsteller Arthur Conan Doyle bereits vor mehr als 130 Jahren erschuf, die aber bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat: Sherlock Holmes. Die vier Kriminal- und über 50 Kurzgeschichten um den Meisterdetektiv aus der Baker Street wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt und lieferten den Stoff für diverse Theaterstücke, Hörspiele, Comics, Filme und eine Serienadaption. Ab sofort steht noch ein neues Musical auf der Liste.
„Sherlock Holmes - Next Generation“ lautet der Titel der musikalischen Bühnenfassung. Und der Titelzusatz lässt bereits erahnen, dass es in diesem neuen Fall nicht nur um Holmes selbst und seinen treuen Assistenten Dr. Watson geht, sondern auch um einen jungen Nachwuchs-Ermittler namens John, der sich denkt: Was der Holmes kann, kann ich ja wohl schon lange.
Dieser Kampf der Generationen bildet das Grundgerüst der Geschichte. Der Fall, den es außerdem zu lösen gilt, ist zwar eher simpel gehalten, für ein Musical aber doch vergleichsweise komplex und von vielen Schauplatzwechseln geprägt: Ein wertvoller ägyptischer Diamant wird aus dem British Museum gestohlen und der Raub fordert auch ein Todesopfer. Der Kreis der Verdächtigen ist groß. Lady Margaret Chamberlain (Annette Lubosch) zum Beispiel, scheint Geldsorgen zu haben. Auch Aleister Crowley (Darrin Lamont Byrd) könnte ein Interesse an dem wertvollen Diamanten haben, genauso wie der schmierige Bürgermeister Strong (Marco Heinrich). Inspector Lestrade (Olaf Meyer), der echten Sherlock-Fans natürlich bekannt ist, tappt wie immer im Dunkeln.
Also müssen Holmes (authentisch: Ethan Freeman) und Watson (charismatisch: Frank Logemann) ran. Unterstützt werden sie vom bereits erwähnten Waisenjungen John (solide: Merlin Fargel) und von Catherine (stimmgewaltig: Alice Wittmer, auch bekannt aus dem Bremer Fritz-Theater), der Tochter der Museumsdirektorin Mrs. Mason (Stephanie Tschöppe). Oder besser gesagt: unterbrochen, denn die Nachwuchsermittler geraten immer mal wieder in die Klemme und sind auf die Hilfe des Altmeisters angewiesen. Und so wird das Publikum mitgenommen auf eine Reise durch britische, ägyptische und auch asiatische Kulturen, auf der irgendwann auch Holmes selbst an seine Grenzen gerät.
Sieben Jahre Arbeit
Mehr als sieben Jahre haben Ideengeber Rudi Reschke sowie seine Kollegen Jo Quirin (Buch) und Christian Heckelsmüller (Buch und Musik) an ihrer Idee eines Sherlock-Musicals herumgetüftelt. Lange kämpften sie, wie sie selbst nach der Premiere am Montag berichteten, bis sie mit dem First Stage endlich ein Theater gefunden haben, das sich an ihr Stück heranwagen wollte. Doch Geduld und Durchhaltevermögen haben sich gelohnt, denn das Ergebnis ist ein rasantes, kurzweiliges Musical mit Songs, die zum Teil Ohrwurm-Potenzial haben. An einigen Stellen sollte der Zuschauer den Plot allerdings nicht bis ins kleinste Detail hinterfragen, gibt es hier doch die eine oder andere kleine Ungereimtheit. Doch auch das ist Meckern auf hohem Niveau und macht „Sherlock Holmes“ nicht weniger sehenswert.
Das teils europaweit gefeierte Ensemble mit einstigen Rollen in Erfolgsmusicals wie „Phantom der Oper“, „Cats“, „Les Misérables“ oder „West Side Story“ überzeugt durch die Bank. Und auch die sechsköpfige Liveband unter der Leitung von Philipp Polzin glänzt: Sie hat ihren Platz in der Bühnenmitte, geschickt ins Bühnenbild (simpel aber effektiv: Dietmar Wolf) eingearbeitet, sodass die Musiker meist versteckt hinter Projektionen und Vorhängen spielen, in anderen Szenen ins Geschehen einbezogen werden und volle Bühnenpräsenz erfahren.
Gespickt mit kleinen Anspielungen auf die Verfilmungen mit Robert Downey Jr. oder die Erfolgsserie „Sherlock“ mit Benedict Cumberbatch, lässt das Musical wohl die Herzen aller Holmes-Fans höherschlagen.
Weitere Informationen
„Sherlock Holmes - Next Generation“ am First Stage Theater, Thedestraße 15, 22767 Hamburg: Donnerstag, 24.01., bis Sonntag, 27.01, täglich um 19.30 Uhr , Sonntag um 18.30 Uhr, Sonnabend zusätzlich 15 Uhr. Weitere Termine von Februar bis April: firststagehamburg.de.