London. Am Tag, der Elizabeths Leben für immer verändern soll, wacht sie im Morgengrauen in einem Baumhaus-Hotel am Fuße des Mount Kenia auf. Die 25-jährige Prinzessin und ihr Mann Philip beobachten voller Faszination, wie sich nur wenige Meter entfernt zwei Nashörner um das Wasserloch zanken. Zuvor haben die beiden bereits eine Herde Elefanten gesehen, Paviane, Warzenschweine und Antilopen. Kurz nach dem Frühstück aus Rührei mit Speck, es ist gegen 10 Uhr morgens am Mittwoch, 6. Februar, verabschiedet sich das Paar.
In Großbritannien ist Premierminister Winston Churchill bereits unterrichtet: König George VI. ist tot. Elizabeth wurde über Nacht Königin. Keiner weiß den genauen Zeitpunkt, wann ihr Vater auf Schloss Sandringham im Schlaf verstarb. Der Kettenraucher litt an Lungenkrebs, nur fünf Monate zuvor war ihm bereits der linke Lungenflügel entfernt worden. Doch Elizabeth weilt abgeschnitten von der Zivilisation. Sie und Philip wurden nur eine Woche zuvor vom König am Londoner Flughafen Heathrow verabschiedet. Schon da, als er winkend in der bitteren Kälte stand, wirkte er schwach und müde. Eigentlich hätte der 57-Jährige die mehrmonatige Reise in die Staaten des Commonwealth unternehmen sollen, doch er schickte aufgrund seines Gesundheitszustands die älteste Tochter. Kenia sollte ein Kurzurlaub vor dem Pflicht-Trip durch Australien, Neuseeland und andere Länder sein.
Als das Paar an jenem Tag von der Safari zurückkehrt, hat der Buckingham-Palast bereits eine verschlüsselte Nachricht an den britischen Gouverneur in Nairobi geschickt. Aber der ist verreist, und so kann niemand die Botschaft entschlüsseln. Deshalb erfährt Elizabeth als eine der letzten vom Tod ihres Vaters. Erst als ein kenianischer Journalist ihren Sekretär informiert und der wiederum die Nachricht an Philip weitergibt, nimmt dieser seine Frau an den Arm zu einem langen Spaziergang im Garten.
Keine Zeit für Trauer
Als sie zurückkommen, zeigt die Königin keinerlei Emotionen, wie Zeugen sich später erinnern, sondern kümmert sich sofort um die Formalitäten, schreibt Briefe und wählt ihren Rufnamen Elizabeth, mit dem sie fortan als Monarchin angesprochen werden sollte. Für Trauer ist keine Zeit. Am Abend macht sich die Entourage auf die Heimreise, ohne den üblichen Pomp steigt Elizabeth II. in den Flieger Richtung Heimat. Der Kapitän überreicht ihr noch ein bewegendes Telegramm ihrer Mutter, das bereits den Ernst ihrer anstehenden Aufgaben betont. „An: Ihre Majestät die Königin. All meine Gedanken und Gebete sind bei Dir. Mummie. Buckingham Palace.“
Zurück in London wird das junge Staatsoberhaupt am Rollfeld von Churchill, dem Kabinett und einem trauernden Volk erwartet. Laut der mitreisenden Cousine von Prinz Philip, Lady Pamela Mountbatten, sagt die Queen, als sie die großen schwarzen Palast-Karossen sieht, die sie abholen sollen: „Oh, sie haben die Leichenwagen geschickt.“
Es galt bei ihrer Geburt als äußerst unwahrscheinlich, dass Elizabeth jemals Königin werden würde. Nach ihrem Vater und dessen Bruder stand sie lediglich an dritter Stelle in der Thronfolge. Doch dann dankte am 11. Dezember 1936 ihr Onkel, König Edward VIII., nach nur einem Jahr Herrschaftszeit ab, um die US-Amerikanerin Wallis Simpson heiraten zu können. Plötzlich war mit Elizabeths Vater Albert jener schüchterne Mann König, der doch eigentlich gar kein König hatte sein sollen. George VI., wie er sich als Monarch nannte, bezeichnete den 11. Dezember in seinem Tagebuch als „diesen schrecklichen Tag“.
Von Elizabeth II. sind solche Kommentare nicht bekannt. Die 90-Jährige erfüllt ihren Dienst mit großem Pflichtbewusstsein, wofür sie von ihren Fans überall bewundert wird. Am Montag jährt sich der Tag ihrer Inthronisierung zum 65. Mal. Sie ist damit die erste Monarchin in der britischen Geschichte, die auf eine solch lange Herrschaftszeit zurückblicken kann.