Dominik Feldmann: Das ist eine ganz schwierige Frage. Da Friedrich Nietzsche aber grundsätzlich jemand war, der Grenzen überschreiten wollte, hätte er sie wohl gemocht. Für Leute wie Adorno oder Marcuse kann ich es Ihnen genauer sagen, die mochten Rockmusik nicht.
Warum denn nicht?Für sie war das alles zu simpel und plump. Sie fanden die Kompositionen zu einfach. Sie standen beide auf Jazz und Klassik und konnten in den 1960ern, als es mit der Rockmusik losging, gar nichts damit anfangen. Ich vermute aber, dass sie nur die erste Phase der Musik miterlebt haben. und dass sie das, was sich später daraus entwickelt hat – Metal, Punk und die ganzen progressiveren Sachen – vielleicht wieder gut gefunden hätten.
Seit ich acht Jahre alt bin, bin ich großer Rockfan. Damals habe ich „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten gehört und fand den Song toll. So fing alles an. Musik ist ein Hobby von mir, weshalb ich mich da recht gut auskenne. Im Studium habe ich dann die Texte bekannter Philosophen, Literaturtheoretiker und Sozialwissenschaftler kennengelernt. Da habe ich festgestellt, dass es Parallelen gibt.

Dominik Feldmann hat mit "Rock your Brain" ein Buch über die Parallelen von Rockmusik und Philosophie geschrieben.
Der Literaturtheoretiker Paul Ricœur hat sich zum Beispiel damit beschäftigt, wie in Geschichten die Identität von Charakteren entsteht. Er stellte fest, dass es bei den Charakteren immer eine Entwicklung gibt, ausgelöst durch bestimmte Ereignisse, die es zu verarbeiten gilt. So können die Figuren selbst eine sogenannte narrative Identität entwickeln. David Bowie zum Beispiel hat mit Ziggy Stardust eine neue Identität angenommen, weil er künstlerisch etwas Neues bewirken wollte.
Genau das sieht die Literaturtheorie für Geschichten und Fabeln vor. Es gibt zum Beispiel auch einen Song von Muff Potter, in dem es um ein Individuum geht, das rückblickend feststellt, dass es ein Outsider war und sich dann selbst weiterentwickelt hat. Das Individuum hat seine eigene Lebensgeschichte für sich schlüssig konstruiert.
Sie sind also von bestehenden Theorien ausgegangen und haben dann geschaut, ob es Musik gibt, die sich zu diesen Thesen in Bezug setzen lässt?Ganz genau. Meine Plattensammlung umfasst rund 1000 Platten. Viele Songtexte hatte ich direkt im Kopf, andere habe ich dann noch recherchiert.
Sind bei Ihren Recherchen Zusammenhänge ans Licht gekommen, die Sie besonders überrascht haben?Die Ideen zu meinem Buch sind in einem Zeitraum von zehn Jahren gereift. Was mich am meisten fasziniert hat, ist das Thema kollektives Gedächtnis. Das fußt auf einer kulturwissenschaftliche Theorie von Jan und Aleida Assmann. Ich habe festgestellt, dass es die bewusste Konstruktion eines Gedächtnisses, eine Erinnerungskultur, innerhalb der Rockmusik-Szene auf vielen verschiedenen Ebenen gibt: Bands werden zum Beispiel gecovert, um sie so vielleicht einem jüngeren Publikum bekannt zu machen.
Was in den letzten Jahren auch verstärkt aufgekommen ist: Man huldigt verstorbenen Rockmusikern, mit Gedenkstunden auf dem Wacken-Festival zum Beispiel. Chester Bennington von Linkin Park hat nach seinem Tod quasi sein eigenes Festival erhalten, bei dem Freunde und Künstler seine Musik gespielt haben. So entsteht Erinnerungskultur.
Ich hätte gern ein Kapitel über Ästhetik gemacht und wollte an Schillers Ästhetikkonzeption anknüpfen. Da habe ich dann aber doch keine Schnittmenge gefunden.
Muss man selbst ein Rocker oder Metaler sein, um mit Ihrem Buch etwas anfangen zu können? Oder kann man sich auch als Philosoph oder Durchschnittsleser an die Lektüre wagen?Als Philosoph ganz sicher, aber man muss offen für das Thema sein. In dem Buch kommen Beispiele von über 300 Künstlern und Bands vor. Einige davon – The Doors, AC/DC, Metallica – sollte eigentlich jeder schon mal gehört haben.
Warum eigentlich gerade Rock? Könnte man die gleichen Bezüge nicht auch für Pop- oder Schlagermusik herstellen?Größtenteils nicht. Gerade, wenn man sich Schlagertexte anschaut, geht es viel um Liebe. Da fehlt die textliche Tiefe. Themen wie Dekonstruktion, Grenzüberschreitung und Revolution kommen eben eher in gesellschaftskritischen Genres vor. Dazu gehört der Schlager nicht, und das passiert auch in der Popmusik nur bedingt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es bei Genres wie Hip-Hop oder Rap auch gut funktionieren könnte.
Ihr Buch handelt von dem Gefühl der Ekstase beim Konzert, von dem Gemeinschaftsgefühl, von vollen Clubs und von Musik als kollektivem Erlebnis. Wie ist das für Sie, dass Ihr Buch in einer Zeit erscheint, in der all das kaum möglich ist?Vielleicht ist das Buch ja ein schöner Ersatz. Wenn man schon nicht auf Konzerte gehen kann, hat man vielleicht die Zeit, sich mal anders mit dem Thema Rockmusik zu befassen. Vielleicht löst das Buch einen geistigen Rausch aus als Ersatz für den Rausch, den man auf einem Konzert erlebt.
Das Gespräch führte Alexandra Knief.Dominik Feldmann studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Soziologie in Augsburg. Er ist Rockmusik-Fan und schreibt für ein einschlägiges Webmagazin. In seinem Buch „Rock your Brain“ verbindet er die Musik mit seiner zweiten Leidenschaft: der Philosophie.
Heavy Metal und Philosophie - geht das?
Das Buch „Rock your Brain“ zeigt auf, dass sich die Texte von Rocksongs durchaus auch um die großen Themen der Menschheit drehen können. Autor Dominik Feldmann beleuchtet in 13 zum Teil sehr theoretischen Essays die Zusammenhänge von philosophischen Theorien und den Inhalten bekannter Rocksongs.
Dabei setzt er unter anderem Annahmen der Gender Studies mit Künstlern wie Brian Molko, David Bowie oder Freddy Mercury in Bezug oder schreibt über das Verhältnis von Musik und gesellschaftlicher Veränderung. Die Ansichten von Walter Benjamin, Umberto Eco, Michel Foucault oder Roland Barthes kommen in dem Buch genauso zur Sprache wie die Gedanken von den Beatles, den Ärzten, Iron Maiden, Marilyn Manson und vielen, vielen mehr.
Weitere Informationen
Dominik Feldmann: Rock your Brain.
Rockmusik und Philosophie in 13 Essays.
Phantom Verlag, Berlin. 204 Seiten, 18,90 €.
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