Alle Kinder sind schon da, also kann es losgehen. „Wir können den Ladevorgang starten“, sagt Leo Mosler grinsend und öffnet die Tür zu dem kleinen Saal. Eigentlich öffnet nicht Mosler die Pforte des Figurentheaters „Mensch Puppe!“, sondern Ivan, der Großvater von Peter. Gleich beginnt die Vorstellung von „Peter und der Wolf“, und Mosler steckt schon in seiner Rolle, weshalb sein Bart und seine Haare grau angemalt sind. Die Kinder können es kaum abwarten und stürzen in den Raum. Die meisten von ihnen haben schon einmal eine Vorstellung des Puppentheaters gesehen. Sie wissen also, was sie erwartet. Und weil ihnen die Vorführung gefallen hat, freuen sie sich auf Peter. Und natürlich auch auf den Wolf. Die meisten jedenfalls.
Das Team von „Mensch Puppe!“ setzt in seinen Aufführungen nicht nur Puppen ein. Vielmehr spielen die Puppenspieler Leo Mosler und Jeannette Luft sowie die Schauspielerin Claudia Spörri auch selbst. So ist es auch in dem Ein-Mann-Stück „Peter und der Wolf“: Mosler erzählt als Ivan, was passierte, als Peter einmal vergaß das Gartentürchen zu schließen. Peter ist eine kleine Handpuppe, die Ivan bedient. Und dann gibt es noch den Vogel, die Katze Mascha, die Ente und natürlich den Wolf. Der führt ein Doppelleben als Hocker: Bis zu seinem Auftritt steht die Sitzgelegenheit naturgemäß regungslos in der Ecke. Doch später wird Ivan die Schnauze von der Unterseite des Hockers nach oben drehen und fertig ist der Bösewicht. Aber der Reihe nach.
Erst einmal begrüßt Ivan die ungefähr 50 Kinder, die in dem Raum vor ihm Platz genommen haben. Die Schüler sind mit ihren Lehrern von der Schule an der Karlstraße in Delmenhorst gekommen. Es sind zwei fünfte und eine zweite Klasse. Einer der Schüler sitzt im Rollstuhl. Die Kinder sind recht unruhig, sprechen den Großvater auf der Bühne direkt an.
Mosler nimmt das auf, richtet sich an die Kinder – schließlich erzählt Ivan seine Geschichte auch lieber vor Publikum. „Challo Kinder, kommt ihr mich besuchen?“, fragt er. Ein lang gezogenes „Jaaa!“, ertönt zur Antwort. Und dann erzählt er die Geschichte von seinem Enkel Peter und dem Wolf. Die Musik zu dem Spiel haben die Bremer Philharmoniker eingespielt: Das Vögelchen wird begleitet von der Querflöte, die Ente von der Oboe, die Katze von der Klarinette und der Wolf vom Horn. Großvater Ivan schließlich bekommt Unterstützung vom Fagott. „Das ist groß wie der Großvater“, sagt Ivan.
Das Bühnenbild stellt das Wohnzimmer des Großvaters dar: grüne Tapete, Holzofen, Radio, kleiner Tisch. Auf dem Tisch spielt Ivan die Geschichte nach. Als Peter eines Tages vergisst, das Gartentor zu schließen, nimmt das Unheil seinen Lauf. Die Ente verlässt den Garten, um auf dem nahen Teich zu schwimmen. Dort gerät sie mit dem Vogel in Streit, was wiederum die Katze anlockt. Als schließlich der Wolf tatsächlich kommt, ist Peter zwar wieder in den Garten zurückgekehrt und die Katze inzwischen auf einem Baum – die Ente jedoch ist aufgeregt aus dem Teich geklettert und wird so für den Wolf zur leichten Beute.
Der Wolf ist zwar nicht viel mehr als ein Stück Holz, das bis vor Kurzem noch als Hocker diente. Aber Mosler gelingt es, das Raubtiermöbel so überzeugend über die Bühne zu bewegen, dass es einige Kinder mit der Angst zu tun bekommen. Die Musik tut ihr Übriges, ein Mädchen beginnt zu weinen.
Als der Wolf aber von Peter überlistet und gefesselt wird, hellt sich die Stimmung wieder auf. Gemeinsam mit den herangeeilten Jägern bringt Peter den Wolf in einen Zoo. Nach der Vorstellung dürfen sich die Schüler die Bühne anschauen und Mosler ein paar Fragen stellen. Da wird dann auch schon wieder gelacht.
Der zehnjährigen Nazli hat die Aufführung gut gefallen. „Ich fand das Stück lustig.“ Und nein, Angst habe sie nicht gehabt. Ihre Lehrer freuen sich, dass die Interpretation von „Mensch Puppe!“ nah am Original geblieben ist. „Wir haben das Stück im Musikunterricht vorbereitet“, erzählt der Klassenlehrer Axel Jöllenbeck. So hätten die Schüler einiges aus dem Unterricht auf der Bühne wiedererkennen können.
Vor Kurzem feierte das Figurentheater seinen fünften Geburtstag. Während des viertägigen Geburtstagsfestivals feierte das musikalische Märchen „Peter und der Wolf“ von Sergei Prokofjew Premiere. Auch „Träume, die auf Reisen führen“ feierte kürzlich Premiere. Jeannette Luft entführt den Zuschauer in dem collagenhaften Schauspiel an die Grenzen zwischen Realität und Fiktion.