Syke. Ein über hundert Jahre altes Harmonium, schwarz-weiße Hochzeitsfotos und Postkarten aus einer längst vergangenen Zeit: Im Kreismuseum Syke erwartet Besucher ein Portal in eine andere Epoche. Anlässlich des 150. Jahrestages der Gründung des Deutschen Kaiserreichs präsentiert die Einrichtung ab diesem Wochenende die Ausstellung "Menschen in der Kaiserzeit 1871 bis 1914 zwischen Weser und Hunte – Ihr Leben in Fotografien, Dokumenten und Objekten". Den Fokus des Projekts lässt bereits der Titel erahnen: "Wir konzentrieren uns weniger auf den Militarismus und den Kaiser, sondern auf die Menschen, die zu dieser Zeit lebten", sagt Museumsleiter Ralf Vogeding.
Sämtliche Objekte und Dokumente stammen aus dem Bestand des Kreismuseums. "Wir hoffen, dass die Besucher aufgrund der Ausstellung ein besseres Zeitverständnis für diese Epoche erhalten und diese nicht nur mit dem Militarismus verbinden", sagt Historiker Florian Adolph, der die Ausstellung gemeinsam mit der Kulturwissenschaftlerin Elsbeth Kautz konzipiert hat. Ralf Vogeding wünscht sich, ein größeres Interesse an der Kaiserzeit wecken zu können. Denn vieles, was wir heute als selbstverständlich ansehen würden, habe seinen Ursprung in dieser Zeit.
Gerade für die ländliche Region sei die Epoche prägend gewesen. "Die Friedenszeit des zweiten Deutschen Kaiserreichs war eine Zeit gesellschaftlicher Beharrung, aber auch voller Neuerungen", sagt Vogeding. Beispielsweise kam die Fotografie ins Rollen. Früher war die Porträtmalerei nur dem Adel vorbehalten und die untere Schicht hatte keine Möglichkeit, Bilder von der eigenen Familie an die Wand zu hängen. Dass sich dies änderte, zeigen auch die Ausstellungsstücke: Zahlreiche Fotos von Familien, Häusern und Kindern zieren die Wände des Kreismuseums.
Das deutsche Kaiserreich war laut Volkskundler Vogeding eine Zeit "des ungeheuren Aufbruchs". Durch den Bau von Eisenbahnstrecken in der Region wurde der Warentransport erleichtert und Männer hatten die Möglichkeit, zur Arbeit in der Industrie zu pendeln. "So kam mehr Wohlstand und eine bürgerliche Lebensart aufs Land", sagt Florian Adolph. Wandbehänge, Polstermöbel und neue Güter gewannen für die Menschen an Bedeutung. "Denkbar war diese neue Form der Wohnkultur nur, weil viele Anbauten dazu kamen", informiert Vogeding. Das erkennt man ihm zufolge auch heute noch an den t-förmigen Häusern in der Region.
Vieles aus der Kaiserzeit prägt das gesellschaftliche Leben bis heute: "Die ersten Massenmedien wie Zeitungen und Postkarten setzten damals ein", weiß Florian Adolph. Außerdem startete laut dem Historiker die telefonische Kommunikation, die bis heute von großer Bedeutung ist. Trotz vieler Neuerungen hätten sich in dieser Zeit aber auch rückschrittliche Weltanschauungen verfestigt. "Die Ansicht, dass Frauen in die Bereiche Kinder, Kirche und Küche und Männer in die Arbeitswelt gehören, hat sich im Kaiserreich festgezurrt", sagt Ralf Vogeding. Selbst das freizeitliche Vereinsleben, das in der Kaiserzeit angesichts des neuen Lebensgefühls und Patriotismus der Deutschen aufblühte, war laut dem Museumsleiter vor allem Männern vorbehalten. Anhand dieser strengen Rollenverteilung zeige sich abermals die fortschrittliche, aber auch rückständige Natur der Kaiserzeit.