Twistringen. Jüdische Männer, Frauen und Kinder flüchteten in heller Panik vor dem brennenden Inferno, während sie von den Häschern des nationalsozialistischen Regimes verfolgt und teilweise sogar ermordet wurden. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 sowie den folgenden drei Tagen brannten im gesamten Deutschen Reich mehr als 1400 Synagogen und Betstuben ab. Überdies fielen Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe der Zerstörungswut der Nazis zum Opfer – so auch in Twistringen. Unter der Regie von Pastoralreferentin Birgit Hosselmann organisierten die Firmlinge des kommenden Jahres für den Donnerstagabend einen Gedenkgottesdienst zum 79. Jahrestag der Reichspogromnacht.
Hierzu fanden sie sich gemeinsam mit einigen interessierten Bürgern am Gedenkstein in der Bachstraße ein und legten vor dem Mahnmal eine mit einem Davidstern bedruckte Fahne sowie diverse Steine nieder. Im Halbkreis standen alle Anwesenden dann vor dem durch zwei Windlichter schwach erleuchteten Stein, und aus einem Lautsprecher erklang das Lied „Nicht mein Problem“ der Gruppe Silbermond. Hieran knüpften die 17 Jugendlichen an und gaben nacheinander Erklärungen zur Reichskristallnacht ab: Das vorgeschobene Attentat des 17-jährigen jüdischen Polen Herschel Grynszpan auf den der NSDAP angehörigen Legationssekretär Ernst Eduard von Rath und die darauf folgenden Hetzkampagnen des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels, der das Weltjudentum für diesen Anschlag verantwortlich machte.
Absolute Stille im Halbkreis
In Twistringen brannte am 10. November 1938 das jüdische Gebetshaus in der Bachstraße nieder, während viele männliche Juden in sogenannte Schutzhaft genommen wurden. Währenddessen wurden ihre Wohnungen unter den Augen der weiblichen Bewohner von SA-Soldaten durchsucht und verwüstet. Im Jahr 1983 beschloss der Rat der Stadt Twistringen, dort, wo einst das Gotteshaus der jüdischen Mitbürger gestanden hatte, einen Gedenkstein aufzustellen. „Das von Architekt Rudolf Kramer entworfene Denkmal soll aussagen, dass alle Menschen – gleich welcher Religion oder Rasse – Brüder und Schwestern sind. Zudem macht es auch auf die Einzelschicksale der Twistringer Juden aufmerksam“, sagte Hosselmann. Als nun die Namen der örtlichen NS-Opfer vorgelesen wurden, herrschte absolute Stille im Halbkreis. Und dem einen oder anderen Zuhörer ging mit Sicherheit ein kalter Schauer über den Rücken in Anbetracht dessen, dass die Gräueltaten hier namentlich benannt werden konnten und somit ihre Anonymität verloren.
Die 15- bis 17-Jährigen gedachten den Millionen ermordeter Juden weltweit, die verflucht, gejagt, denunziert, entwürdigt und deportiert worden waren, mit mahnenden Worten. Als Zeichen des Friedens verteilten sie brennende Kerzen und bunte Blumen an alle Anwesenden, denn: „Wo Menschen Blumen in den Händen halten, ist kein Platz für Waffen“, so die Pastoralreferentin. Mit den Liedern „Only Time“ von Enya und „Bitte hör nicht auf zu träumen“ von Xavier Naidoo endete die Gedenkfeier und Hosselmann bedankte sich bei den Firmlingen für die gelungene Vorbereitung und perfekte Umsetzung dieses Zusammentreffens. Alle Umstehenden pflichteten ihr bei.
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