Martfeld. Ein Poster mit den 95 Thesen auf Deutsch empfing die Besucher der Andacht an der Tür der Catharinenkirche Martfeld am Reformationstag. Vielleicht las der eine oder andere zum ersten Mal einen dieser Sätze, die im kirchlichen Leben 1517 bisher nie Dagewesenes bewirkten und dem Ablasshandel ein Ende bereiteten. Anschließend wurde im Gemeindehaus zu Tisch gebeten. 45 Gemeindemitglieder hatten sich zu dem spätmittelalterlichen Mahl angemeldet. Karl-Heinz Hespenheide vom Kirchenvorstand umriss kurz, dass in Wittenberg Katharina von Bora, Luthers Ehefrau, im ehemaligen Refektorium des Schwarzen Klosters täglichen bei zwei Mahlzeiten zwischen 20 und 50 Esser beköstigte. Studenten, junge mittellose Frauen, Witwen, Durchreisende, das Dienstpersonal und nicht zuletzt die sechs Kinder saßen bei Tisch. Es wurde während der Mahlzeiten diskutiert über Politik und soziales Leben. Luthers Lieblingsspeise soll gebratener Hering mit Erbsenbrei gewesen sein. Die Kartoffel kannte man noch nicht. Vieles wurde als Brei zubereitet, weil die Zähne schlecht waren.
Bier statt Wasser
Getrunken wurde kein Wasser, das war zu dieser Zeit oft ungenießbar, weil von Keimen verseucht, sondern eher Bier, und das meist warm. „Katharina verstand sich wie viele Frauen aufs Bierbrauen, und es gab die Sitte, in den Häusern der Nachbarinnen zu probieren, denn oftmals misslang ein Versuch. Das wird dann so etwas wie der Vorgänger vom Kaffeeklatsch gewesen sein“, meinte Hespenheide zum Vergnügen der Gäste. Der Reformator soll gesagt haben: „Das ist ein gemarterter Mann, dessen Weib nichts weiß von der Küche. Es ist das erste Übel, woraus sehr viele folgen.“ Er gehörte allerdings zu einer Schicht, die nicht den Armen zuzurechnen war, auch dank des überaus großen Geschicks und Könnens seiner Frau im Haushalt. Sie baute Gemüse und Früchte an, hielt Kühe, Schweine Ziegen und Hühner. Aus dem Jahr 1534 ist eine Auflistung überliefert, die besagt, aufgewendet wurden für Fleisch 300 Gulden, für Bier 200 Gulden und für Brot 50 Gulden. Wobei dunkles Brot gebacken wurde oder auf irdenen Tellern Fladenbrot in heißer Asche.
Luther prägte die Sprache
Den Auftakt des Menüs in Martfeld bildete nach einem Lutherlied mit Gitarrenbegleitung eine Kürbissuppe, dazu eine Auswahl an dunklem Brot, Schmalz und Kräuterbutter. Als die Suppenteller abgeräumt wurden, fand sich ein Zettel mit einem Begriff, den Luther im Zuge seiner Bibelübersetzung geprägt hatte. Feuereifer, Bosheit, Lückenbüßer, Nachteule, Sündenbock, Buch mit sieben Siegeln, Perlen vor die Säue werfen, die Zähne zusammen beißen, um nur einige zu nennen. Vor dem Hauptgericht ging Pastor Heinz-Dieter Freese kurz darauf ein, was ihm persönlich wichtig an Luther sei. „Er war einer, der zum ersten Mal die Quelle angab, auf die er sich berief, nämlich die Heilige Schrift.“ Ein paar weitere Antworten aus der Runde lauteten: „Ihm ist zu verdanken, dass auch das einfache Volk Lesen und Schreiben lernte.“ „Er gab den Anstoß für Veränderungen, die hoffentlich fortgeführt werden.“ „Er zeigte, dass es nicht immer nur heißen soll: Das darfst du, und das darfst du nicht.“
Ein paar Rätselfragen zum Leben Luthers fanden Antworten, bevor dann Sauerkraut mit Erbsenpüree, Pilzpfanne, Semmelknödel, Hähnchenkeule, Spanferkelbraten und zweierlei Soßen von fleißigen Helfern aufgetragen wurden. Wasser in Tonkrügen – dank heutiger Hygienevorschriften ohne Bedenken zu trinken – Wein, Apfelsaft und Lutherbier gab es gegen den Durst. Eine Bemerkung Luthers zu Scheinheiligkeit und falscher Rechtschaffenheit war auf der Rückseite der Bierflasche zu lesen. Es würden sich oft Menschen brüsten, weil sie glaubten, etwas Besseres zu sein. Aus den Tischreden des Reformators gab Pastor Freese ein paar Kostproben, und gesungen wurde mit Akkordeonbegleitung auch aus Luthers großem Liederfundus. Apfelstückchen mit Honig zeigten als Nachtisch des geselligen Mahls, dass man im 21. Jahrhundert Schmausen konnte wie zu Zeiten von „Herrn Käthe“, wie Luther seine Frau oft genannt haben soll.