„Zu alt für jung“ Reflektiert in den Ruhestand

Ex-Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz sorgte im Syker Rathaus für eine anregende Beschäftigung mit dem Thema Rente. Nur wer den Übergang in diese Lebensphase nicht reflektiert, kann überrascht werden.
11.02.2020, 17:32 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Rita Behrens

Syke. Was erwartet einen Menschen nach seinem Arbeitsleben? Oder besser gefragt, wie stellt er sich seine neue Lebensphase vor? Zu diesem Thema hatte die Freiwilligen-Agentur Syke Dieter Bednarz als kompetenten Referenten für Montagabend in den Ratssaal eingeladen. Der ehemalige Spiegel-Redakteur, Jahrgang 1956, befindet sich inzwischen seit 2017 an der „Rentnerfront“. So bezeichnet er seinen jetzigen Lebensabschnitt.

Also trat hier jemand auf, der sich den neuen Herausforderungen stellt, ihnen gewissermaßen die Stirn bietet. „Zu jung für alt“ ist für ihn offensichtlich nicht allein ein Buchtitel, sondern ein Motto. „Mehr als nur eine Lesung“ sollte die Gäste erwarten. Ihnen war es mehr als recht, über den „Aufbruch in die Freiheit nach dem Arbeitsleben“ überaus offen informiert zu werden. So gab der Autor unverhohlen preis, er selbst sei vom Alter überholt worden: „Einmal von rechts und einmal von links“. Nach mehr als 35 Jahren seiner Tätigkeit als Journalist und Korrespondent im Nahen und Mittleren Osten endete diese sinnstiftende Arbeitsphase abrupt.

Seinen persönlichen Wendepunkt markierten unerwartete, aber grundlegende berufliche wie private Begebenheiten. Mit erzählerischem Talent stellte er sie anekdotisch vor. Da gab es die freundliche Unterhaltung mit dem Chef, bei der eine atmosphärische Dissonanz in der Luft lag, die er zunächst „irgendwie fühlte“, später reflektierte. Der unerwartete Hinweis beim Verlassen des Büros, doch einmal über die Vorruhestandsregelung nachzudenken, schockierte. Auch privat wurde sein Alter nicht mehr ignoriert. Beim Besuch eines Freizeitparks stellt seine Frau den verbilligten Eintritt für „Senioren ab 60 Jahren“ lautstark fest. Bednarz referierte frei, ausgewählte Passagen aus dem aktuellen „erzählenden Sachbuch“ trug er lebhaft vor.

Er berichtete von seinen Recherchen: Sein Blick richtete sich auf das Älterwerden an sich, das Altern und Alt-Sein. Zunächst traf er sich mit namhaften Experten – und zwar unterschiedlicher Provenienz. Solchen, die sich aus der wissenschaftlichen Distanz heraus mit dem Thema befassen, und solchen, die sich infolge ihrer beruflichen Qualifikation mit dem Phänomen auseinander setzen wie Psychotherapeuten und Personalberater. So ließ sich der Suchende über die Relevanz der individuellen psychischen Widerstandskraft (Resilienz) aufklären oder über die Möglichkeit, „sechs Rentnertypen“ zu lokalisieren. Doch „bis heute“, so stellte er fest, warte er darauf, von irgendjemandem – nach zirka 50 Lesungen – die Meldung zu erhalten: „Das bin doch ich!“

Seine Fahndung führte ihn des Weiteren in das Deutsche Zentrum für Altersforschung (DZA) in Berlin. Dessen Anblick ließ ihn erstaunen. Was er sah? „Einen alten Kasten! Doch von innen modern, alles ist tiptop!“ Eine gelungene Metapher, belustigend und doch die Reflexion anregend. Er sprach die Zuhörer direkt an – zumindest rhetorisch: „Haben Sie schon mal in den Augen eines alten Menschen die strahlende Lebendigkeit gesehen?“ Langweilen musste sich hier an diesem Abend im Rathaussaal niemand.

Mancher betrachte die neue Lebensphase als Gewinn, denn zeitliche und hierarchische Zwänge verschwänden. Aber auch das Gegenteil, ein Verlustempfinden, könne auftreten: Die Angst, den privilegierten Status zu verlieren und damit den Lebenssinn. Bednarz bekannte sich vor der notwendigen Entscheidung zu der Frage: „Würde mich der Ruhestand killen?“ Gleichwohl müssten negative Bilder bewusst werden, führte er weiter aus. Sie seien der erste Schritt zum Neuanfang. Dankbarkeit und Demut täten gut und würden helfen, sich weiterzuentwickeln. Bliebe die Wertschätzung aus, könne sich Frustration einstellen. „Das Ehrenamt bietet neue Chancen, anerkannt zu werden.“ Wichtig sei es, den „roten Faden“ zu finden, der nicht immer sofort offenliege. Als wichtige Elemente zur Steigerung der Zufriedenheit favorisierte Bednarz zudem „Lebenslanges Lernen“ und den Grad der „Identitätsstiftung“. Das könnte auch ein Hobby leisten, das intensiv ausgelebt wird. Problematisch bliebe jedoch der unreflektierte Übergang in den Ruhestand.

Bednarz‘ plakative Vortragsweise kam sehr gut an. Seine Beispiele reichten von den Kumpels aus dem Ruhrpott über den Hamburger Ü-70-Chor bis hin zum ehemaligen Fußball-Nationalspieler Philipp Lahm. Zum Dank für den „sehr unterhaltsamen Abend“ wurde dem dynamisch und charmant auftretenden Autor von den Organisatorinnen Heike Wilhelm und Regina Pasenau ein kleines Geschenk überreicht.

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