Änderung des Tierschutzgesetzes Saustark oder Ferkelei?

Eine Änderung des Tierschutzgesetzes verbietet ab Januar 2019 die betäubungslose Kastration von Ferkeln. Was für Ferkel gut klingt, sorgt Landwirte – auch Nadine Henke von Brokser Sauen.
07.06.2018, 12:40 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Dominik Albrecht

Landkreis Diepholz. Ab dem 1. Januar 2019 dürfen Ferkel bundesweit nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden. Was auf den ersten Blick nach einer tierfreundlichen Entscheidung klingt, kann für die Landwirte Deutschlands zu einem ernsten Wettbewerbs-Problem führen. Mit einem Beitrag auf Facebook hat sich die Ferkelzüchterin und Tierärztin Nadine Henke aus Bruchhausen-Vilsen mit eben jener Sorge an User gewendet. Denn eine Alternative sei eine sogenannte Immuno-Kastration. Eine erstellte Umfrage ergab, dass 60 Prozent der User (653 Stimmen) Fleisch aus Immuno-Kastrationen nicht kaufen würden. Doch was ist das genau, und warum müssen die Tiere überhaupt kastriert werden?

Eine Diskussion über die Kastration von Ferkeln gibt es laut Nadine Henke schon seit zehn Jahren – ohne zufriedenstellendes Ergebnis. 90 Prozent der Züchter kastrieren aktuell nach Henkes Schätzung ohne Betäubung. Diese Tiere erhalten vorab ein Schmerzmittel, welches nach dem Eingriff noch wirkt. Von einer Schmerzausschaltung möchte sie dabei nicht sprechen: "Das ist so, als wenn man eine Aspirin nimmt und sich dann in den Finger schneidet. Der Schmerz ist nicht intensiv, aber noch da." Und obwohl der erste Januar näher rücke, gebe es noch immer keine Lösung vonseiten der Landwirte. Von der Politik an der Hand geführt, fühlt sich Nadine Henke in dieser Angelegenheit auch nicht: "Die gibt uns drei Möglichkeiten vor und sieht ihre Pflichten damit erfüllt." Der Ferkelerzeuger stehe auf diese Weise mit dem Rücken an der Wand. Über 50 Millionen Tiere würden jährlich in Deutschland geschlachtet. Aber: "Irgendwann ist der Ebermarkt gesättigt und es geht um die Frage, was mit den anderen Tieren passiert." Ein weiteres Manko sei, dass sich der Handel nicht deutlich äußere, welche Kastrationsweise er bevorzuge. "Dadurch ist es für Tierhalter sehr schwierig, den richtigen Weg zu finden", fasst Nadine Henke zusammen.

Apropos zusammenfassen: Jetzt kommen wir mal zur Sache. Warum müssen die kleinen Ferkelchen denn überhaupt kastriert werden? Die männlichen ausgewachsenen Tiere produzieren Hormone, die das Fleisch anders riechen und schmecken lassen. "Es gibt Menschen, die nehmen das nicht wahr, von anderen wird es aber als sehr unangenehm empfunden", beschreibt Nadine Henke. Rund fünf bis zehn Prozent der Eber seien von diesem "Ebergeruch" getauften Phänomen betroffen. Das gleiche gibt es übrigens auch bei Wildschweinen. "Da nehmen wir es aber als Wildgeschmack hin", sagt Henke. Einfach aussortiert werden können die betroffenen Tiere auch nicht, denn das Fleisch riecht erst beim Anbraten unangenehm. Zu Lebzeiten gleicht ein Eber also dem anderen. "Wenn wir sie sicher finden würden, wäre das überhaupt kein Problem aber wir haben leider keine elektronischen Nasen dafür", sagt Nadine Henke.

Die drei im Raum stehenden Möglichkeiten sind eine Kastration unter Narkose, eine Immuno-Kastration und die Ebermast. Nadine Henke und ihr Ehemann Heinrich setzen seit sieben Jahren auf Letzteres. "Wir lassen die Eber unkastriert durchlaufen und mit 120 Kilogramm Gewicht schlachten", erklärt Nadine Henke. 1250 Sauen leben auf dem Bruchhausen-Vilser Hof, 40 000 Ferkel erblicken jährlich für die Schlachtbetriebe das Licht der Welt. Geliefert wird dabei an hiesige Mäster im Umkreis von rund sieben Kilometern. Die Ebermast ist aber keinesfalls eine Lösung gegen den Ebergeruch, sondern das geringste Übel, wie Nadine Henke betont: "Bei der Ebermast wird einfach akzeptiert, dass 90 Prozent der Tiere keinen Geruch entwickeln." Allerdings habe Eberfleisch den Nachteil, dass ihr Fleisch nicht die gleiche Qualität hat, wie jenes kastrierter Tiere. "Darum wird Ebermast nie eine 100-prozentige Alternative zur Betäubung sein", Henke. Fleisch mit Ebergeruch wird aber nicht automatisch entsorgt. "Das landet in Mortadella oder anderen geräucherte Wurstsorten, die man kalt isst", verrät Henke.

Züchter, die sich für die Kastration entscheiden, müssen diese in der ersten Lebenswoche der Ferkel von einem Tierarzt durchführen lassen. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Denn die frisch geborenen Ferkel fallen für die Zeit der Narkose und Nachschlafphase am Gesäuge aus. Ein Ferkel benötige 20 bis 24 Milchmahlzeiten täglich. "Wenn sie schlafen, fehlen ihnen bis zu fünf davon. Außerdem haben die Ferkel eine Zitzenordnung, also einen festen Platz an der Sau. Wenn ich jetzt aber die Hälfte der Ferkel herausnehme, herrscht hinterher Streit, weil sie sich neu sortieren müssen", verdeutlicht die Tierärztin.

Okay, dann der letzte Pfeil im Köcher: Immuno-Kastrationen. Dabei werden Eber gemästet und vor dem Schlachten zwei Mal im Abstand von vier Wochen mit einem Präparat gespritzt. "Das ist ähnlich wie ein Impfstoff und blockiert den Rezeptor, der die Hormone bildet", sagt Nadine Henke. Bei den geimpften Tieren bilden sich auch die Hoden zurück, sodass die behandelten Tiere erkennbar sind. Doch auch die Immuno-Kastration ist nicht der uneingeschränkte Heiland in dieser Thematik. Nadine Henke fürchtet nämlich eine mangelnde Akzeptanz bei Verbrauchern. Und die bereits erwähnte Umfrage scheint sie zu bestätigen. Dabei werde die Immuno-Kastration seit mehreren Jahren international und auch in Deutschland eingesetzt. "Selbst Bio-Verbände propagieren diese Methode", weiß Henke. Dazu kommt, dass vielerorts ein "mehrstufiges Schweinesystem" besteht. Dabei werden die Ferkel bis zu 30 Kilogramm Gewicht gefüttert und an einen Mäster weiterverkauft, der die Tiere auf bis zu 120 Kilogramm mästet. "Der Mäster hat dann aber die Arbeit mit der Spritzerei. Wenn er alternativ Tiere aus den Niederlanden oder Dänemark kaufen kann, die schon kastriert sind, hat er die Arbeit nicht und wir stehen mit unseren Ferkeln da", gibt sie zu bedenken. "Das Gesetz maßregelt nur die Person, die betäubungslos kastriert. Es schreibt nicht vor, dass nur Tiere gekauft werden dürfen, die nach den neuen Maßgaben kastriert wurden", kritisiert Nadine Henke.

Und was passiert nach Nadine Henkes Einschätzungen jetzt am 1. Januar? "Ich befürchte, dass viele Betriebe darauf setzen, dass das neue Gesetz verschoben wird und sich darum keine Gedanken über die Zukunft machen." Für sie ist die Ebermast, unter Umständen in Verbindung mit einer Immuno-Kastration, die beste Lösung. Wer jetzt Fragen hat, kann sich jederzeit beim transparenten Hof von Nadine und Heinrich Henke melden. Auch Besuche auf dem Hof sind nach telefonischer Absprache möglich. Die Nummer zum Glück ist die 0 42 52 / 9 38 01 98.

Lesen Sie morgen im SYKER KURIER: Was sagt Tobias Göckeritz , Vorsitzender vom Landvolk Mittelweser, zum neuen Gesetz?

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