Syke. Die Kunst befindet sich – wie jegliche Kultur – zurzeit landauf und landab in der Warteschleife. Manch einer mag das als weniger wichtig einstufen. Aber „für die Gesellschaft ist die Kunst systemrelevant“, davon ist die Leiterin des Zentrums für zeitgenössische Kunst in Syke, Nicole Giese-Kroner, überzeugt. Sie schätzt es als „sozial katastrophal“ ein, „wenn sie wegbrechen würde“. Doch sogleich ergänzt sie, sie wisse selbstverständlich, dass Gesundheitsschutz und Existenzsicherung in der derzeitigen Covid-19-Krise vorrangig und notwendiger seien. Gleichwohl wünscht sie sich für das Syker Vorwerk, dass der bisherige Veranstaltungsmodus wieder stückchenweise zur vorher gekannten Realität zurückkehrt.
Noch besteht die Hoffnung, zumindest die aktuelle Ausstellung „Fluidity“ wieder spätestens im Mai noch für zirka zwei Wochen öffnen zu können. Jedoch müsse zunächst noch die Entwicklung bis nach Ostern abgewartet werden. Denn letztlich seien die Aussagen des Robert-Koch-Instituts und die politischen Vorgaben handlungsrelevant. Sofern dann auch die Schulen wieder geöffnet sind, soll nach Möglichkeit auch der Kinderkunstclub „Fledermäuse“ adäquat stattfinden.
Selbstverständlich gelte es, das Risiko für alle Beteiligten so klein wie irgend möglich zu halten, betont Nicole Giese-Kroner. Gleichwohl bieten die Räumlichkeiten bei den bisher üblichen Besucherzahlen ausreichend Platz. Sowohl das Publikum als auch die Mitarbeiter könnten den gebotenen physischen Abstand wahren. Einen Lichtblick für Kunstinteressierte gibt es außerdem. Mit Hilfe des neuen Katalogs zu „Fluidity“ können sie sich schon bald einen Überblick verschaffen. Die Publikation befinde sich zwar noch im Druck, solle aber schon bald zu erwerben sein, verrät die Leiterin. Solange das Vorwerk geschlossen bleibt, können Exemplare telefonisch unter der Rufnummer 0 42 42 / 57 74 10 oder per E-Mail an info@syker-vorwerk.de bestellt werden. Eine versandkostenfreie Lieferung sei aufgrund der speziellen Gegebenheiten gesichert, sagt Giese-Kroner.
Die nachfolgende Ausstellung zur zeitgenössischen Bildhauerei „Gehölz 2“ solle möglichst wie geplant Anfang Juni oder aber im Verlauf des Monats beginnen, wünscht sich Nicole Giese-Kroner. Auf jeden Fall gebe es weitere schöne Aussichten. Das beliebte Familienfest mit „Matt und Basti“ konnte bereits in den Juli verlegt werden. Zudem bleibt der erste Tag im August weiterhin dem Garten-Kultur-Musikfestival erhalten. Dabei wird das Quartett The Ragtime Rumours die Gäste im Vorwerk erfreuen. Im September steht das „Novissima“-Konzert mit dem Duo Simon und David Gutfleisch an, das jetzt im April ausgesetzt wurde.
Nicht zu vergessen: Kunsterlebnisse seien ein fester Bestandteil des sozialen Lebens und wirkten nachhaltig, so die Leiterin des Vorwerks weiter. Das sei eine grundlegende Erfahrung. Manchmal laden die Einsichten oder Kunstbetrachtungen anderer Personen noch nachträglich zu einer eigenen individuellen Auseinandersetzung ein – wie etwa in dem feministischem Blog „Dunkellila“. Dort gerät die Syker Fotoausstellung von Jodi Bieber unter dem Aspekt „Schönheit“ in den Blick. Sie war bis Ende Januar im Vorwerk zu sehen. Kunst werde nicht nur konsumiert, erläutert die Leiterin des Vorwerks, sondern es passiere auch etwas mit einem.
Sie selbst sieht sich mit der künstlerischen Präsentation der Transgender-Thematik in der Verantwortung aufzuklären, vermeintliche Gewissheiten zu reflektieren. Es sei ihr ein „grundsätzliches Anliegen, aktuelle und Diskussionen auslösende, schwierige Themen“ darzubieten. So hofft sie: „Auch wenn dafür jetzt noch Verständnis und Toleranz fehlen, kann sich das innerhalb der nächsten zehn Jahre gravierend verändern.“ Um den Dialog mit dem Publikum in der aktuellen Phase aufrechtzuerhalten, sind neuerdings Fotos zu „Fluidity“ auf Facebook aufrufbar. Jedoch könne aufgrund von Urheberrechten nicht alles über das soziale Netzwerk dargeboten werden. Ohnehin bleibe auch die Diskrepanz in der Rezeption bestehen, zu differenzieren sei das reale und das virtuelle Erleben eines Kunstobjektes. Sie erinnert an die Aura des Originals, seine einmalige besondere Wirkung, wie sie schon Walter Benjamin reflektiert hat. Andererseits müssten Alternativen gefunden und angemessen Aktivitäten in der kulturellen Warteschleife starten. Besondere Anerkennung zollt die Syker Expertin dem virtuell eröffneten Foto-Festival in Worpswede als zügige Reaktion auf die Schließung der betroffenen Museen im Künstlerdorf.
Die Problemlage an sich schätzt sie differenziert ein: „Für Museen ist sie ärgerlich. Für Künstler ist sie existenziell“, auch in finanzieller Hinsicht. Das Syker Vorwerk befinde sich in einer vergleichsweise komfortablen Lage. Unter dem Dach einer gemeinnützigen Stiftung der Kreissparkasse Syke müssen keine Gelder regeneriert werden. Deshalb bestehe keine Abhängigkeit von Einnahmen.
Brautpaare müssen Alternativen suchen
Anderweitig wirkt sich der jetzige soziale Zustand ebenso auf den Familienalltag von Nicole Giese-Kroner aus. Zum Beispiel teilen sich die Eltern die Betreuungszeiten für ihren vierjährigen Sohn. „Wir sind noch fröhlich und schaffen alles ganz gut.“ Gleichwohl empfinde sie es in diesem Kontext durchaus als Luxus, sich ihren beruflichen Aufgaben zu widmen. Sie könne sich dafür ab und zu ins Vorwerk zurückziehen. Dort trifft sie in der Regel auch Claudia Bender an, die mit den Verwaltungsaufgaben betraut ist. Bei ihr laufe gerade alles „etwas ruhiger in der außergewöhnlichen Situation“, stellt sie fest, „und Selbstverständliches bekommt eine anderen Stellenwert“. So müssten Brautpaare, die sich an diesem besonderen Ort trauen lassen wollten, nach Alternativen suchen. Das sei aus persönlichen Gründen nicht immer einfach.