Man wird nicht gerade an das Einerlei des Eurovision Contest denken, wenn es um die nationalen stilistischen Eigenheiten von Musik geht. Wenn man Glück hat, klingt dort ein französischer Hit anders als ein deutscher. Denkt man aber 400 Jahre zurück, war das Anderssein in weit größerem Maße der Fall, wobei der Begriff „Hit“ damals noch nicht in Gebrauch war. Zu hören war das in einem Konzert, das am Sonnabend in der Reihe „Sommer. Abend. Musik.“ In St. Cyprian und Cornelius stattfand. Das Duo La Vigna (Der Weinberg) mit der Blockflötistin Theresia Stahl und dem Lautenisten Christian Stahl spielten französische und italienische Musik des Barock und ließen mit hoher musikalischer Ausdruckskunst den Klang zweier Städte, Paris und Venedig, lebendig werden. Ihre Instrumente, Blockflöten verschiedener Stimmlagen, Laute und Theorbe (eine große Basslaute mit sehr langem Hals) waren Nachbauten barocker Instrumente und gewährleisteten ebenso wie ihre intime Kenntnis der übrigen „Spielregeln“ barocker Musik die Authentizität ihrer Wiedergabe.
Der Abend begann mit einer „Suite en mi mineur“ (in e-Moll) von Jacques Hotteterre (1674 – 1763), deren „Prélude“ von Theresia Stahl mit hellem Flötenklang eben mit jenem improvisierenden Ausdruck gespielt wurde, der dem präludierenden Sich-Einspielen gehört. Ein feiner tänzerischer Tonfall bewahrte höfische Eleganz, war Hotteterre doch königlicher Kammermusiker. Die Sarabande mit ihren behutsamen Auftakten war beispielhaft für die sorgsame Einzeltongestaltung der Flötistin. Die Theorbe hatte in dieser Suite nicht nur harmonisch grundierenden Charakter, sondern durchaus auch melodisch etwas zu sagen. Beide Interpreten sorgten für eine beredte Ausformung der Satzcharaktere von Gavotte, Branle (ein altfranzösischer Gesellschaftstanz) und der beiden Menuette. Der erste Satz einer Suite in d-Moll für Sololaute von Denis Gaultier (1597 oder 1603 – 1672), auch ein namhafter Lautenbauer, war von schwebender Leichtheit, die bisweilen ohne festes Metrum „zu sprechen“ schien. Die vier Sätze einer Sonate von Antoine Dornel (1680 – 1757), die in Abänderung des Programms gespielt wurden, waren in ihrer spielerisch intimen, introvertierten Eleganz treffliches Beispiel wahrhaft französischer Kammermusik.
Dann war Giovanni Fontanas (1571 – 1630) ganz italienische „Sonata VI“ mit hoch verzierter Bewegtheit auch in den langsamen Sätzen voller Ausdruck leidenschaftlicher Extrovertiertheit. Das wurde auch der spielerisch-musikalische Tonfall der „Sonata III“ von Antonio Vivaldi (1678 – 1741) mit sinnlich-expressivem Altflötenspiel und rauschenden Theorben-Akkorden. Vor der „Ricercata Quarta“ stellte Theresia Stahl mit der G-Altflöte eine ihrer Flöten vor, deren Klang sie dann in seiner vokalen Offenheit mit virtuoser Geläufigkeit präsentierte. Dario Castellos „Sonata II“ strahlte nicht wenig venezianische Karnevalsausgelassenheit aus – (oder war das der Ganderkeseer Sommerfasching?) – hatte aber auch berührende Momente des zärtlichen Plaudertons von Flöte und Laute. Ganz zärtliche Musik wurde auch die Hotteterre-Air, die sich das trotz Sommerfasching beachtlich große Publikum erklatschte.