"...die eine wie die andere erhoben sich vom Tisch und das Mädchen mit ihrer Vihuela tanzend und singend, und die Alte (…) erzählten mit ihren schmutzigen Mündern tausend Schweinereien, die sie mit ihren Instrumenten und den Bewegungen ihrer wenig keuschen Körper noch verstärkten.“ Die Rede ist hier von der Sarabande, die wir als langsamen Schreittanz und unverzichtbaren Teil der mehrsätzigen barocken Suite aus vielen Konzerten mit alter Musik kennen. Auch die historisch ähnlich einzuordnende Chaconne, die uns weniger als Tanz denn als Ostinato-Form bekannt ist, hat diese „unmoralischen“ Ursprünge und war wie die Sarabande von den Obrigkeiten gerne verboten worden.
Das Ensemble La Ninfea (Die Seerose) begann sein Programm, mit dem es im Rahmen der Reihe „Sommer. Abend. Musik.“ in St. Cyprian und Cornelius auftrat, mit einer Chaconne, deren Herkunft mit „Differents auteurs“ angegeben ist, was auf historische Spielgewohnheiten hindeutet, die den strengen Werkcharakter nicht kannten, sondern sich spontan aus dem bediente, was zur Verfügung stand. Spontaneität ist sowieso eines der Ausdrucksmittel dieses Ensembles einer neuen Generation der Alten Musik. So war der ostinate Bass hier tänzerisch bewegt, ging also auch in die Beine, war beste Basis für die erotisch-schwelgerische Expressivität der Blockflöte.
Crossover der ganz edlen Sorte
La Ninfea, das sind Barbara Heindlmeier (Blockflöten und jugendlich charmant-vergnügte, inhaltsreiche Moderation), Christian Heim (Viola da Gamba und Blockflöten), Marthe Perl (Viola da Gamba) und Nadine Remmert (Cembalo). Ihr aktuelles Programm unter dem Motto „Verrucht & modern – Sarabande, Ciacona, Tango oder ein absolut verbotenes Konzert“ steht für „Crossover“ der allerfeinsten Art. Ja, auch der Tango stand in unmoralischem Ruf, hatte er doch seine Ursprünge in den Hafenspelunken der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, bevor Astor Piazzolla ihn zur Kunstmusik erhob. Das macht auch La Ninfea, wenn sie Piazzollas „Oblivion“ spielt. Hier entsteht in Triobesetzung (ohne das sonst so farbig präsente Cembalo) kunstvoll ausgehorchte Kammermusik. Die beiden Gamben schafften einen geheimnisvollen Klanghintergrund, vor dem die Tenorflöte ihre Melodie mit nachdenklicher Schönheit schwelgen ließ. Auch in Courante und Sarabande des Monsieur de Sainte-Colombe glühte das Gamben-Duo förmlich vor Expressivität, und Marthe Perl und Christian Heim turtelten mittels der Musik, flüsterten zärtlich.
Da hinein ließ Nadine Remmert ihr Cembalo präludierend rauschen, als ob sie Atem holt für das berühmte La-Follia-Thema, das so viele Komponisten zu Variationen anregte. Auch La Ninfea wurde angeregt und spielte ein Feuerwerk an Klangfarben, Ausdrucksvielfalt, die Blockflöten wetteiferten in Virtuosität, die Gambe tönte wie Gewitterstürme und sang den großen Gambenklang. Und immer wieder stieß das Cembalo, virtuos, duftig, rhythmisch-metrisch bestimmend, diesen speziellen Tango-Ton an, über dessen Melancholie und Straffheit La Ninfea so hinreißend lebendig verfügt.
Wunderbar gelang immer wieder das Verschmelzen der Stile. Da wurde das barocke „Amoroso“ (lieblich, innig) eines Sonatensatzes von Francesco Mancini unmerklich durch rhythmische Feinheiten zum „amoroso“ des Tangos „El Amancer“ (die Morgendämmerung) von Roberto Firpo. Perfektes Tango-Feeling, also etwa den Tonfall von Fordern und Gewähren ausformend, besaß auch Paolo Pandolfos „Violatango“ mit seinen so wunderbar nuancierten Blockflötenklängen, den so sensibel ausgeformten Gambenfeinheiten und dem spielfreudig-deftigen Tutti-Schmachten.
Tango? Da durfte der berühmteste aller Tangos nicht fehlen. „La cumparsita“ von Gerardo M. Rodriguez begann mit einer spannend-geheimnisvollen Einleitung von Christian Heims Sopran-Gambe und präsentierte noch einmal diese so einzigartige Mischung von Tango und Barock. Die Zuhörer in der nach Corona-Maßstäben ausverkauften Kirche spendeten begeisterten Applaus für all die „verbotenen Sachen“, La Ninfea bedankte sich mit Cesar Saunders Tango „Adios muchachos“ mit einer noch einmal sensibel ausgeformten Zugabe.