Das Landgericht Verden hat die vom Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck angeordnete Unterbringung eines ehemaligen Bewohners der Ritterhuder Obdachlosenunterkunft in die Psychiatrie aufgehoben. Hinsichtlich der zu verhandelnden Straftaten des heute 47-Jährigen erfolgte überwiegend ein Freispruch wegen krankheitsbedingter Schuldunfähigkeit zur Tatzeit.
Die 7. große Strafkammer entschied damit am vierten Prozesstag entsprechend der Anträge der Staatsanwaltschaft. Diese war in dem sogenannten Sicherungsverfahren zuletzt davon abgerückt, die unbefristete Unterbringung des 47-Jährigen in einer psychiatrischen Klinik zu fordern. Ausschlaggebend für die Kehrtwende waren vor allem die Feststellungen in einem weiteren Sachverständigengutachten.
Darin hatte Dr. Vera Koch, Fachärztin für Psychiatrie aus Hannover, erklärt, aus ihrer Sicht lägen die Voraussetzungen für einen Zwangsaufenthalt nicht mehr vor. Bei konsequenter Fortführung der erfolgreichen Medikamentierung und Installation einer Betreuung sei der Mann durchaus in der Lage, sein Leben – mit der Krankheit - wieder in den Griff zu bekommen. Das Risiko, dass der an paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie leidende Mann weitere Straftaten begehe, schätzte Koch aufgrund der Ergebnisse ihrer jüngsten Untersuchung als „sehr niedrig“ ein.
Die Fachärztin sprach in diesem Zusammenhang von einer „gesunden Primärpersönlichkeit“ und „günstigen Symptomen“, die sich aus dem Werdegang vor der Erkrankung ableiten ließen. Der gebürtige Bremer hatte nach dem Realschulabschluss eine Schlosserlehre absolviert und war in diesem Beruf rund 20 Jahre in einem großen Unternehmen in der Hansestadt tätig gewesen. Mit seiner früheren Ehefrau hat er zwei Kinder; man brachte es zu einem Eigenheim. „Bis zum Ausbruch der Krankheit 2005 führte er ein unauffälliges, tadelloses Leben“, so die Psychiaterin.
Allerdings sei die Krankheit zunächst nicht als solche erkannt worden. Vieles sei auf den immer häufiger konsumierten Alkohol geschoben worden. Koch: „Es kam das schnelle Abrutschen aus einem ganz gesettelten Leben“. Verbunden mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und dem Scheitern der Ehe, dann auch mit dem Begehen von Straftaten. Zunächst waren es Trunkenheitsfahrten, dann kamen Beleidigung, Bedrohung, Randalieren und Sachbeschädigung hinzu – und in der Konsequenz Anklagen, Gerichtsverhandlungen, Verurteilungen. „Seine Kriminalitätsentwicklung hängt eng mit der Krankheitsentwicklung zusammen.“
Leider habe er die Notwendigkeit einer fachgerechten Behandlung lange nicht eingesehen und sich dafür lieber „selbst mit Alkohol therapiert“. Er habe sich in einer Hilflosigkeit befunden, „aus der er nicht mehr herauskam“. Seit 2008 wohnte der Mann in dem Ritterhuder Obdachlosenheim. Es habe sich sicherlich zusätzlich „ungünstig“ für ihn ausgewirkt, in einer solchen Einrichtung zu leben, unterstrich die Gutachterin. In dem Haus soll der 47-Jährige auch die Taten begangen haben, um die es nun ging. Allerdings habe die Aufklärung dieser Taten bei der Verhandlung nicht im Vordergrund gestanden, betonte der Vorsitzende Richter Markus Tittel später in der mündlichen Urteilsbegründung. Vielmehr habe ergründet werden müssen, ob der Beschuldigte überhaupt verantwortlich sei und wie es mit ihm weitergehe.
In zwei Fällen von Sachbeschädigung im Dezember 2013 wurde der Bremer wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. In Bezug auf eine zur Last gelegte gefährliche Körperverletzung und eine weitere Sachbeschädigung im Mai vergangenen Jahres traf die Kammer keine Entscheidung. In der Beweisaufnahme hätte dazu kein sicherer Nachweis erbracht werden können, sagte Tittel. Das mutmaßliche Opfer, ein Nachbar im Wohnheim, habe bedauerlicherweise nicht im Zeugenstand gehört werden können.
Auch mit Hilfe der Polizei sei es nicht gelungen, den inzwischen aus Ritterhude verzogenen Mann aufzuspüren. Der Amtsaufklärungspflicht sei diesbezüglich Genüge getan worden, hatte zuvor schon die Vertreterin der Staatsanwaltschaft bemerkt. Doch selbst wenn sich der Sachverhalt so herausgestellt hätte wie in der Anklageschrift dargelegt: Auch dann wäre vom Gericht nicht die Einweisung in die Psychiatrie angeordnet worden. Dies strich Tittel in seiner kurzen Erläuterung heraus. Das Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck hatte im Dezember 2014 die einstweilige Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus Lüneburg verfügt. Die Behandlung dort habe sich als sinnvoll und wirksam erwiesen, so Tittel mit Verweis auf das aktuelle Gutachten.
Darin hatte die Psychiaterin erklärt, sie habe den 47-Jährigen als krankheitseinsichtig und erleichtert erlebt, dass sich sein Befinden durch die Medikamente deutlich spürbar gebessert habe. Der Vorsitzende Richter schloss mit den Worten: „Wir haben keinen Zweifel, dass er den aufgezeigten Weg aus freien Stücken gehen wird.“ In Kürze soll die bereits beantragte Bestellung eines gesetzlichen Betreuers erfolgen.