Landkreis Osterholz. Die Bürger im Landkreis Osterholz rüsten auf. 301 Anträge für den Kleinen Waffenschein sind nach Angaben der Kreisverwaltung im Jahr 2016 gestellt worden. Das waren sechs Mal mehr als im Jahr zuvor. 2015 hatten 50 Osterholzer bei der Waffenbehörde des Kreises eine Erlaubnis zum Führen speziell gekennzeichneter Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen, kurz SRS, beantragt. Die Waffen sehen aus wie echte Schusswaffen, statt Kugeln verschießen sie aber Reizgas oder geben einen lauten Knall ab.
In den ersten drei Monaten des Jahres 2016 verzeichnete der Kreis 137 Anträge für den Kleinen Waffenschein. Von April bis Juni sank die Zahl auf 29. Einen erneuten Anstieg gab es in der zweiten Jahreshälfte. Im dritten Quartal gingen 68, im vierten Quartal 67 Anträge bei der Kreisverwaltung ein. Warum sich immer mehr Osterholzer bewaffnen, dazu kann der Kreis keine Angaben machen. „Die Antragsteller müssen im Antrag keinen Grund angeben“, sagt Kreissprecher Marco Prietz. „An Spekulationen wird sich der Landkreis nicht beteiligen.“
Olaf Seidel ist Inhaber des Geschäftes „Angeln und Jagen“ in Osterholz-Scharmbeck. In den ersten drei Monaten des Jahres 2016 rannten die Kunden dem Händler die Tür ein. „Am Jahresanfang, nach den Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln, gab es einen richtigen Boom“, stellt Seidel einen Zusammenhang her. Sämtliche SRS-Waffen seien damals in seinem Laden ausverkauft gewesen. Kunden hätten ihm erzählt, dass sie durch die Vorfälle in Köln verunsichert seien und sich im Notfall selber schützen wollten.
Wachsende weibliche Kundschaft
Schreckschusspistolen würden meist von Männern gekauft, berichtet Seidel. Frauen griffen eher zu Pfefferspray. Für handelsübliche Sprays, die ein amtliches Prüfzeichen tragen oder als Tierabwehrspray ausgewiesen sind, ist laut Waffenbehörde kein Kleiner Waffenschein erforderlich. Händler Seidel schätzt, dass er nach den Vorfällen in Köln zehn Mal mehr weibliche Kundschaft in seinem Laden hatte.
Unter den 301 Osterholzern, die im vergangenen Jahr einen Kleinen Waffenschein beantragten, waren nach Kreisangaben 52 Frauen. Vergleichszahlen für das Jahr 2015 liegen der Verwaltung nicht vor. Mit der steigenden Zahl von Anträgen für Kleinwaffen liegt der Landkreis im landesweiten Trend. Nach einer Umfrage des NDR-Fernsehmagazins „Hallo Niedersachsen“ bei den 108 Waffenbehörden in Niedersachsen wurden im vergangenen Jahr landesweit 16 000 Anträge gestellt. Acht Mal mehr als 2015, da waren es 2000 Anträge. Der Kleine Waffenschein wurde 2003 nach Amokläufen an Schulen in Deutschland eingeführt. Grundsätzlich kann jeder unter bestimmten Voraussetzungen eine Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffe mit dem Siegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) kaufen und zu Hause aufbewahren. Dafür braucht er keine Erlaubnis der Waffenbehörde. Der Kleine Waffenschein ist aber erforderlich, wenn die Waffe in der Öffentlichkeit getragen wird. Bei öffentlichen Veranstaltungen, etwa Versammlungen, Demonstrationen, im Theater, Kino, bei Fußballspielen oder auf Jahrmärkten dürfen die Waffen nicht getragen werden, darauf weist die Waffenbehörde hin. Streng geregelt ist die Benutzung. In der Öffentlichkeit darf die Waffe nicht abgefeuert werden. Einzige Ausnahme ist eine Notwehr- oder Notstandsituation. Wer eine SRS-Waffe ohne Genehmigung bei sich führt, kann mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden.
Wer einen Kleinen Waffenschein beantragen will, muss mindestens 18 Jahre alt sein. Die Behörde prüft Zuverlässigkeit und persönliche Eignung. Dazu werden die Angaben zur Person mit eventuellen Einträgen im Bundeszentralregister, im Erziehungsregister, bei der Staatsanwaltschaft und anderen Behörden abgeglichen. Wer einschlägig vorbestraft ist, hat in der Regel keine Aussicht auf einen Kleinen Waffenschein.
Die Polizeiinspektion Verden/Osterholz sieht die Konjunktur der Kleinwaffen „sehr kritisch und mit Sorge“, so ihr Sprecher Jürgen Menzel. Durch die Silvester-Übergriffe 2015 in Köln aber auch die Terroranschläge fühlten sich viele Menschen offenbar unsicher. „Im Landkreis Osterholz lebt es sich aber nach wie vor sicher“, betont der Polizeisprecher. Die Sicherheit, die sich Menschen von Schreckschusswaffen versprechen, sei eher trügerisch. Der Gebrauch berge auch Risiken. „In der Stresssituation eines Angriffs ist man nur bedingt handlungsfähig.“ Ein ungeübter Umgang mit der Waffe sei ein zusätzliches Risiko. „Unter Umständen kann man sich mit der eigenen Waffe selbst verletzen.“ Schwer einschätzbar sei auch die Reaktion eines Angreifers. „Das Ziehen der Waffe kann den gewünschten Erfolg haben und den Angreifer in die Flucht schlagen. Es kann aber auch ins Gegenteil umschlagen, und die Situation kann eskalieren.“ Im schlimmsten Fall könnte der Täter die Waffe gegen das Opfer richten.
Die Polizei rate deshalb vom Selbstschutz mit der Waffe ab. Viel wirksamer sei es, als Opfer die Aufmerksamkeit anderer Passanten auf sich zu lenken. Betroffene sollten laut um Hilfe bitten: „Ich werde bedroht, rufen Sie die Polizei.“ Als einfaches aber sicheres Mittel, einen Angreifer abzuwehren, empfiehlt der Polizeisprecher eine Trillerpfeife. Auch Signalgeber seien hilfreich. „Über eine Reißleine wird ein lautes Piepen ausgelöst.“ Das erschrecke den Angreifer und mache Passanten aufmerksam.