Osterholz-Scharmbeck. Als „chaotisch“ und „desaströs“ wurde gestern von enttäuschten Anrufern der Start für die Vergabe von Ü-80-Terminen im Rahmen der Corona-Impfungen in Niedersachsen beschrieben. Die Hotline (0800 / 99 88 665) war einem immensen Ansturm ausgesetzt. Im Verlauf der ersten Stunde wurden mehr als 700.000 Anrufversuche registriert. Wer gleich nach 8 Uhr anrief, bekam nach etlichen übereinstimmenden Berichten entweder ein Besetztzeichen oder den Hinweis, dass die gewählte Nummer nicht vergeben sei. Peter Körner aus Garlstedt, der für seinen 87-jährigen Vater Anton einen Termin zu bekommen versuchte, warf schon kurz vor 11 Uhr entnervt das Handtuch. „Vielleicht versuche ich es morgen noch einmal!“
Sozusagen „ausverkauft“ schon in der Rush Hour, machte die für Online-Bewerber angebotene Anmeldeplattform www.impfportal-niedersachsen.de nach kaum 90 Minuten den Laden dicht. Mit einem mitfühlenden Dank für das Interesse: „Wir bedauern, dass aufgrund der großen Nachfrage nach Impfterminen und der äußerst geringen verfügbaren Impfstoff-Menge über das Impfportal derzeit keine Termine mehr buchbar sind. Im Laufe des Tages sollen jedoch noch weitere Terminoptionen eingestellt werden.“
Während sich viele erboste Bürger in ihrer Not auch an Zeitungsredaktionen wie das OSTERHOLZER KREISBLATT wandten, gab sich Lieselotte Weitbrecht aus Osterholz-Scharmbeck noch einigermaßen unaufgeregt. Sie hatte das Glück, dass ein in der Taunus-Region lebender Enkel um einen Termin für seine Großmutter kämpfte. „Es ist chaotisch“, hatte er nach diversen Fehlversuchen via Telefon und Internet der Oma in die Kreisstadt gemeldet. Brigitte Escherhausen, ehemalige Bürgermeisterin der Stadt, kam gestern nicht durch und muss – „allerdings ganz entspannt“ – ebenfalls vorläufig in der Warteschleife verharren.
Auch Landrat übt Kritik
Auch der Osterholzer Landrat Bernd Lütjen bemühte sich vergebens um einen Impftermin für seine 87-jährige Mutter aus Hambergen. Zwar hatte Lütjen die Warnung aus Hannover gehört, Impfportal und Hotline dürften zunächst überlastet sein, sodass Geduld nötig sei. Doch was er dann ab 8 Uhr erlebte, habe seine nur geringen Erwartungen bei Weitem unterschritten: "Die Rufnummer ist nicht vergeben", habe es am anderen Ende der Impfhotline nach zahlreichen Fehlversuchen geheißen. "Dass man da keine andere Ansage schalten kann, verstehe ich nicht", ärgerte sich der Chef der Kreisverwaltung. Lütjen versuchte sich auch durch das Impfportal im Internet zu klicken, aber das verwies ihn schließlich in die Wesermarsch als das nächstgelegene Impfzentrum. Frustriert brach der Landrat den Vorgang ab und versuchte, die Pleite seiner Mutter zu erklären: knapper Impfstoff, unklare Liefermengen und -termine. Umso unverständlicher findet es Lütjen, dass die Landesregierung – nach der ersten Panne mit dem Briefversand – nun dennoch partout am 28. Januar als Start-Datum festgehalten habe. Bei einem Pressetermin in anderer Sache sagte Lütjen später: "Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Leute verunsichert sind und auch verärgert.“
Von einem „Desaster“ sprach Doris Wesemann, die sich von Bernkastel-Kues an der Mosel meldete, um von ihren vergeblichen Anstrengungen zu berichten. Ihre Eltern, 87 und 84 Jahre alt, leben in Schwanewede. In der Erkenntnis, dass beide Kanäle – der übers Telefon ebenso wie jener übers Internet – dauerhaft „verstopft“ sein würden, versuchte sie, beim Gesundheitsamt des Landkreises Rat zu bekommen. Dort habe man sich ebenso für nicht zuständig erklärt wie im Rathaus der Stadt Osterholz-Scharmbeck.
Der Fehlstart kam nicht überraschend. Die Hotline werde zusammen mit einem Online-Portal ab 8 Uhr morgens freigeschaltet, hatte der Leiter des Corona-Krisenstabs, Heiger Scholz, am Dienstag in Hannover zwar versprochen, zugleich aber gewarnt: „Wir müssen davon ausgehen, dass diese Hotline am Anfang überlastet sein wird.“ Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) musste hinterher im Landtag den schleppenden Start erklären. „Das Telefonnetz war mit dem hohen Volumen schlicht überfordert“, gab sie gestern zu. Grundsätzlich habe das Prozedere aber dennoch funktioniert. Um 9 Uhr seien die zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden 4492 Online-Termine vergeben gewesen. Außerdem hätten bis 12 Uhr knapp 1400 Personen Termine über die telefonische Hotline buchen können.
Hunderttausende Senioren in Niedersachsen hatten für Donnerstagmorgen das Angebot erhalten, sich für die Corona-Impfungen anzumelden. Insgesamt leben hier rund 550.000 Menschen, die älter als 80 Jahre sind. Allein im Landkreis Osterholz waren über 8000 Senioren angeschrieben worden.
Der Dienstleister Majorel, der die Hotline betreibt, soll seine Mitarbeiterzahl aufgestockt haben - von rund 70 im Dezember auf rund 130 in der vergangenen Woche. Für die kommenden Wochen wurde eine weitere Steigerung auf 250 bis 280 Mitarbeiter avisiert. Laut Majorel können 250 Mitarbeiter rund 25.000 Anrufe täglich bearbeiten. Trotzdem hatte die Landesregierung schon im Vorfeld auf mögliche Wartezeiten und technische Probleme hingewiesen. Ohnehin könnten noch nicht alle Impfzentren sofort Termine anbieten, weil der Impfstoff knapp sei. In einem ersten Step sind lediglich bis zu 30 der 50 Impfzentren dabei. Vergeben werden könnten maximal rund 15.000 Termine. Der limitierende Faktor bei der Impfkampagne ist laut Reimann ausschließlich der Mangel an Impfstoff: „Die Situation ist sehr unbefriedigend, wöchentlich werden die Lieferungen korrigiert.“ Am kommenden Dienstag würden die nächsten 58.500 Dosen von Biontech und Pfizer erwartet. „Sobald diese Lieferung bestätigt ist, werden sofort weitere Termine vergeben“, kündigte die Ministerin an. Die Kommunen seien allerdings dazu aufgerufen, die Hälfte des Impfstoffes zunächst weiter für Senioren- und Pflegeheime zurückzuhalten. Deshalb könnten bis Mitte Februar auch erst 30 der insgesamt 50 Impfzentren sukzessive den Betrieb aufnehmen. Reimann rief die jetzt impfberechtigten Menschen ab 80 Jahren deshalb zu Geduld auf. „Jeder wird in den nächsten Wochen einen Termin erhalten, die meisten nur nicht in den nächsten Tagen“, versprach sie.
Peter Körner hatte immerhin das Glück, dass er auf dem Online-Portal noch seine Handynummer und weitere Daten übermitteln konnte. „Ich erhielt dann per SMS einen Code. Als ich den eintippte, gab es aber eine Fehlermeldung. Das ganze wiederholte sich dreimal.“ Unter den angeforderten Daten: die Postleitzahl des Impfberechtigten. Für die 27711 Osterholz-Scharmbecks wurden mehrere Optionen offeriert: Das Impfzentrum in der Stadthalle der Kreisstadt war nicht dabei, dafür verschiedene Stellen „etwa 40 Kilometer und mehr entfernt“.
Doris Wesemann drückte den „verzweifelten alten Leuten“ ihr Mitgefühl aus. Und auch den jüngeren Menschen, die für betagte Freunde und Verwandte auf Terminjagd gehen. „Ich bin zum Glück nicht berufstätig und werde es noch den ganzen Tag lang probieren.“ Sie hätte es besser gefunden, wenn man statt der Zentralstelle Hannover die Gesundheitsämter in Anspruch genommen hätte, um die Termine zu vergeben.
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