Ritterhude. Erst klickten die Verschlüsse der Handy-Kameras, dann brandete Beifall auf: Irina Wischnizkaja war nach der Konzertpause auf die Bühne des Hamme-Forums zurückgekehrt. Sie trug jetzt eine flammend rote Robe. Die Vorschusslorbeeren hatte sich die Weißrussin im ersten Teil der „Vocal Klassik-Night“ redlich verdient, zum Beispiel in Un bel di vedremo, der sehnsuchtsvollen Arie der Cio-Cio-San aus Giacomo Puccinis Verismo-Oper Madame Butterfly. Für Sopranistinnen wegen der halsbrecherischen Sprünge und dramatischen Steigerungen mit Höchstschwierigkeiten gespickt. Das Kleid der Frau in Rot war zugleich eine Vorwegname dessen, was kommen würde, denn im zweiten Abschnitt wartete das Konzert mit viel Kolorit und amourösen Verheißungen auf. Angefangen mit den „Zigeunergeigen“, die die Gräfin Mariza in der der gleichnamigen Operette von Emmerich Kálmán hört, über den in einem jüdischen Schtetl von Wohlstand träumenden Milchmann Tevje aus Jerry Bocks Musical Anatevka bis hin zu Franz Lehàrs Lippen, den „schweigenden“ aus der Lustigen Witwe und den „so heiß küssenden“ der Giuditta.
Die Schwermut der Rusalka
Einen der Höhepunkte des Abends stellte das Lied an den Mond aus dem ersten Akt von Rusalka dar, der erfolgreichsten Oper von Antonín Dvorák. Die Arie der Nixe in diesem lyrischen Märchen verströmt slawische Schwermut. Sie ist Irina Wischnizkaja wie auf den Leib geschrieben. Große Solo-Momente hatte auch Wischnizkajas Partner Ivo Berkenbusch. Der Bariton, der sein Mund-Werk unter anderem in Meisterkursen von Placido Domingo erlernt hat, gefiel besonders in des Figaros Largo al factotum aus Gioachino Rossinis Barbier von Sevilla, in der er das Publikum auch mit seinem schauspielerischen Talent zu unterhalten vermochte. Mimik und Gebärden sprachen in dieser furiosen Auftritts-Kavatine Bände, ließen die Zuhörer förmlich den Rasierschaum auf der Wange spüren. Kapellmeister Olaf Wiegmann, wie Wischnizkaja am Staatstheater Oldenburg engagiert, trat ebenfalls solistisch hervor: In einem von Wolfgang Amadeus Mozart geschriebenen D-Dur-Rondo (KV 485) und schließlich in Franz Liszts Liebestraum, in seiner dritten Fassung ein pianistisches Bravourstück in bester Nocturne-Tradition.
Doch eingehegt in der Rolle des Begleitmusikers war Wiegmann kein Deut weniger hörenswert. Wie überhaupt das Trio Il Belcanto immer dann mit Sensibilität in der Interpretation bestach, wenn es als Ensemble auftrat und die Vokalisten sich mit Mezza Voce, halber Stimme, in den Dienst des harmonischen Dreiklangs stellten. Ein wunderbares Beispiel: Die Barcarole aus Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen, die im nahe der Hamme gelegenen Forum eine Woge der Begeisterung auslöste. Eine Barcarole, das italienische Wort für Boot und Barke, war ursprünglich ein Lied der venezianischen Gondolieren. Der Sechsachtel- oder Zwölfachteltakt erweckt den Eindruck einer wiegenden Melodie-Bewegung, ähnlich dem Schaukeln einer Gondel. Bleibt noch zu erwähnen, dass Ivo Berkenbusch sich auch als hervorragender Entertainer erwies. In seinen Anekdoten nahm der warm timbrierte Bariton Kollegen wie Mario del Monaco, Maria Callas und Montserrat Caballé auf die Schippe.
Der Name Il Belcanto mag in diesem Konzert die eine oder andere falsche Erwartung geweckt haben. Er steht für die Ära der Komponisten Donizetti, Bellini und Rossini, für verschnörkelte Gesangstechnik, für Portamenti und Koloraturen. Tatsächlich war man aber in ganz anderen musikalischen Epochen unterwegs. Lediglich die Kavatine des Figaro ist dem Belcanto-Zeitalter zuzurechnen. Nimmt man „Belcanto“ freilich wörtlich als „schöner Gesang“ – so ist der Nagel auf den Kopf getroffen.