Pianist Alexander Stepanov dringt bis zum Wesen der Werke vor und interpretiert sie differenziert.
Mit seinen äußerst subtilen Interpretationen bestach der russische Pianist Alexander Stepanov das Publikum im Gemeindesaal Alte Schule. Im Rahmen der Orgelmusik war er bereits zum vierten Mal nach Worpswede gekommen. Der junge Pianist, der vor einem Vierteljahr sein Konzertexamen bei Jochen Köhler in Halle mit Auszeichnung bestand, hatte für das Programm Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), Robert Schumann (1810-1856), Frederik Chopin (1810-1849) und die beiden russischen Zeitgenossen Sergej Slonimskiy (geboren 1932) und Nikolai Kapustin (Jahrgang 1937) ausgesucht. Neben den Hochromantikern Schumann und Chopin also drei russische Komponisten des 20. Jahrhunderts, darunter die eher unbekannten Slonimskiy und Kapustin. Letzterer mit einem jazzig-rhythmischen Anflug seiner Etüde, die das kleine, aber feine Konzert virtuos rasant beendete.
Begonnen hatte es mit Schostokowitschs Präludium und Fuge d-moll op. 87 und Slonimskiys Präludium Fuge es-moll. Bei dieser kompositorischen Konstellation ist sofort Johann Sebastian Bach und das „Wohltemperierte Klavier“ im Hintergrund präsent, was Ulrike Dehning dann auch dazu veranlasste, die beiden Kompositionen einleitend als „eine Hommage an Bach“ zu würdigen. Stepanov gab mit Schostakowitschs Präludium einen kraftvollen Einstieg, um danach einen großen Melodiebogen aufzubauen, den er immer wieder zart webend modifizierte. Dabei das Pedal – anders als bei Bach – als bindendes Element einsetzend.
Die Fuge beginnt unverkennbar mit ihrem Thema und umspielt es dann durch weitere Stimmen im wahrsten Sinne des Wortes. Auch bei Slonimskiy die gleiche musikalische Struktur mit zartem Melodieauftakt im Präludium und folgend reduziertem Tempo, in der Fuge abwechselnd virtuose Fingerläufe der rechten und der linken Hand und schließlich ein kurzes, pathetisch anmutendes Finale.
Chopin als Höhepunkt
Mit Schumanns „Kinderszenen“ op. 15 stand ein Kompositionszyklus auf dem Programm, der oft gemeinsam mit dem „Album für die Jugend“ op. 68 publiziert wurde und noch immer wird. Doch sind die „Kinderszenen“ nicht als Stücke für Kinder gedacht, sondern nach Aussage des Komponisten vielmehr als „Rückspiegelung eines Älteren für Ältere“. Somit sind sie ein musikalischer Reflex auf die Kindheit. Ihre Titel gab Schumann den Stücken auch erst im Nachhinein. Darin nehmen die Kompositionen Motive der Romantik auf, wie beispielsweise das der Sehnsucht oder das des Kuriosen, Unheimlichen. Alle dreizehn Stücke üben eine bildhafte Wirkung auf den Zuhörer aus. So assoziiert er beispielsweise „Am Kamin“ ein fröhlich flackerndes Feuer oder beim „Ritter vom Steckenpferd“ einen raschen Galopp auf eben diesem Spielzeug durch Haus und Hof. Die bekannteste Komposition aber dieses Zyklus ist zweifelsohne die „Träumerei“. Sie sowie alle anderen zwölf lotete Alexander Stepanov bis hin zu ihrer Wesenhaftigkeit aus. Jedem dieser Stücke, die durchaus ihre Finessen haben, wurde er durch seine subtile Interpretation gerecht. Man meint – und dieses jetzt auf seinen gesamten Vortrag bezogen – er erforsche die Werke, in dem er sich selbst ganz hineingibt, mit Erfühltem und mit Verstand. Technische Virtuosität ist ihm dabei Mittel zum Zweck. Sein Ziel ist ein anderes: Bis zum Wesen des Werkes vordringen, es in seiner universellen Musikalität erkennen, erfassen – und differenziert wie einfühlsam interpretieren. Ein Philosoph am Klavier!
Den Höhepunkt des Nachmittags bildete Chopins „Impromptu-Fantasie“ op. 66, die er jenseits aller Klischees darbot: rasant, aber gleichzeitig im Tempo gezügelt, perlend wie auch schwingend, bisweilen dunkel grundierend und atemberaubend schön.