Bremen. Konzerte der Band Versengold sind mit ihrer wilden, deutschsprachigen Mischung aus Mittelaltermusik, Rock und gelegentlichen maritimen Einflüssen üblicherweise ein Garant für ein ausgelassen feierndes, tanzendes und zechendes Publikum. Die 2003 gegründete Band aus dem Landkreis Osterholz erspielte sich mit ungezählten Auftritten auf großen Mittelaltermärkten und in jüngster Zeit auch verstärkt auf Metal-Festivals ein treues Publikum wie auch einen Ruf als mitreißende Liveband. Mit ihrem siebten Album „Zeitlos“ schaffte Versengold im vergangenen Jahr auch ohne eine große Plattenfirma im Rücken den Sprung auf Platz 22 der deutschen Charts.
Mit ihrem Auftritt im Vegesacker Bürgerhaus beschritt die siebenköpfige Band erstmals gänzlich andere Wege und erklärte dieses Konzert zu einer exklusiven „Nacht der Balladen“ – nicht als Auftakt einer Tournee, sondern zunächst als zumindest vorläufig einmaliges Experiment.
Die 600 Karten für den bestuhlten großen Saal des Bürgerhauses waren bereits Monate im Voraus restlos vergriffen. Neben Familien und Freunden der Bandmitglieder nahmen zahlreiche Fans lange Anreisen aus Köln, München und sogar der Schweiz auf sich, um diesen Abend zu erleben. „Die Balladen kommen auf den normalen Konzerten meistens etwas zu kurz", erklärte eine Besucherin aus Köln, die gemeinsam mit zwei Freundinnen den Weg nach Vegesack angetreten hatte. Aufgeregt zeigten sich neben vielen Besuchern vor allem die Bandmitglieder und ihre Gastmusiker selbst: „Bei den etwa 100 Konzerten, die wir jährlich absolvieren, spielen wir immer dasselbe Programm – heute Abend ist alles anders“, eröffnete der charismatische Sänger Malte „Snorre“ Hoyer den Zuhörern bereits in seiner ersten Ansage.
Poetisches vom „Schelm“
Wenig später wurde der Grund für diese Aufregung deutlich: Mehr als die Hälfte des Programms bestand aus Stücken, die „Versengold“ schon viele Jahre nicht mehr oder noch nie zuvor auf einer Konzertbühne präsentiert haben und in denen sich der Sänger statt als feierfreudiger Schelm von einer sensiblen, poetischen Seite zeigt.
Auch das Bühnenbild und die Besetzung unterstrichen den besonderen Charakter des Abends: Die Band verzichtete komplett auf mittelalterliche Gewänder und fantasievolle Folk-Kostümierungen, hatte neben der regelmäßig mit der Band auftretenden Sopranistin Silja Mansholt auch den Percussionisten Julian Claus von den Phaenotypen sowie ein Streichquartett als Gastmusiker eingeladen. „Wir haben früher zusammen im Landesjugendorchester gespielt und gehören zum Freundeskreis der Band“, erklärt Bratschistin Caro nach dem Konzert.
Ein Element, das die fast schon intime Konzertatmosphäre stören könnte, unterbindet Bodhran-Spieler Thomas „Pinto“ Heuer recht früh. Er bittet die Fans, das Konzert nicht nur durch das Display ihrer Smartphones zu verfolgen.
Neben den bisweilen recht eindringlichen Texten von Balladen wie dem „Frühlingsgruß“, „Vom gerechten Kriege“ oder „Ihr so nah“ gibt Sänger Malte Hoyer bei seinen Ansagen viel Persönliches preis, erzählt, dass der Text des ebenfalls gespielten Songs „Wolken“ durch einen Autounfall inspiriert wurde, den Hoyer und seine Freundin in Marokko nur knapp überlebt haben, während ein anderes Pärchen starb.
Obwohl sich die Mittelalter-Band bei ihren Konzerten selten von einer so persönlichen Seite zeigt, ist die „Nacht der Balladen“ kein Abend der reinen Melancholie. Spätestens als die Band mit „Haut mir kein‘ Stein“ nach einer halben Stunde eine schwungvolle Polka vorstellt, reißt es das Publikum von den Sitzen. Der vertonte Bestattungswunsch „Baut mir dort ein Schankhaus und tanzt auf meinem Grab“ erhält ohrenbetäubenden Jubel.
Dieses Bild wiederholt sich nach der Konzertpause häufiger, als die Band unter anderem mit ihrer Hymne „Versengold“ weitere feiertaugliche Stücke auftischt. Die Begeisterungsfähigkeit der Zuhörer ist schier unglaublich, der anfangs noch moderate Lautstärkepegel steigert sich im Laufe des Konzerts angesichts der ebenso textsicheren wie frenetischen Publikumsreaktionen, die auch den Schiffsuntergangsshanty „Ich und ein Fass voller Wein“ begleiten, gefühlt um etwa das Doppelte.
Auch Geiger Florian „Honza“ Janoske spricht auf der Bühne von einer „unglaublichen Heimspielatmosphäre“, da Sänger Malte Hoyer in seinem Geburtsort auftritt. Band und Publikum feuern sich in der zweiten Konzerthälfte zunehmend zu Höchstleistungen an. Und angesichts der Reaktionen auf das geglückte Experiment lässt die Band, die mittlerweile vom Branchenriesen Sony unter Vertrag genommen wurde, noch auf der Bühne verlauten, dass diese erste wohl nicht die einzige „Nacht der Balladen“ der Bandgeschichte gewesen sein dürfte. Für nächstes Jahr ist mit einer Fortsetzung zu rechnen.