Grasberg. Moorkolonisation, Moorkommissar – solche Wörter klingen eher nach trockener Geschichtsstunde, als danach, Kinder auf die Menschen hinter diesen Begriffen neugierig zu machen. Aber nur solange, bis sich Christa Warncke und Barbara Thiel jenes Mannes annehmen, der das Erscheinungsbild der Teufelsmoorregion im ausgehenden 18. Jahrhundert entscheidend geprägt hat: Jürgen Christian Findorff. Die Autorinnen, bekannt für ihre fröhlichen Wissensgeschichten mit den Hinnerks, schreiben im Jahr des 300. Findorff-Geburtstags ein Buch für Kinder zum Lesen und Vorlesen: fantastisch, witzig und voller belegter Informationen. In diesem Monat soll „Die Moorkommissare“ in den Druck gehen, in dem auch Erwachsene noch Neues über den „Vater aller Moorbauern“ erfahren können.
Ohne Findorff wäre Grasberg noch heute „ein Sumpf mit zwei Sandhügeln drin“, beschreibt die Grasberger Bürgermeisterin Marion Schorfmann Findorffs Wirken. Im Rahmen der Vorbereitungen zum Findorffjahr hatte sie überlegt, wie man Kindern dieses Thema näher bringen könnte. Mit dem Ergebnis sollten sich Kinder, aber auch deren Eltern und Großeltern ansprechen lassen. Die Idee zu einem Findorffbuch war geboren. Der Grasberger Findorff-Heimatverein zog mit und gibt nun das Buch heraus. Als Förderer wurden die Grasberger Beringhoff-Stiftung, der Landschaftsverband Stade, Privatspender und die Gemeinde gefunden.
Mit den Autorinnen Christa Warncke und Barbara Thiel suchten und fanden die Grasberger zwei Fachfrauen für das Moor und für fröhliche Geschichten auf akribisch recherchiertem Fundament. Im Dreigespann mit Illustratorin Lea Fröhlich gelingt es ihnen seit Jahren, mit den vier Hinnerks – Rabe, Fohlen, Esel und Kater – jungen Leserinnen und Lesern nahezu unbemerkt und mit Spaß Wissen über Moor und Wattenmeer zu vermitteln.
Arbeitsstart im November
Ab November vergangenen Jahres begaben sich Thiel und Warncke auf Findorffs Spuren. Sie lasen in alten Büchern, saßen in Archiven, kopierten alte Landkarten, erkundeten die Grasberger Kirche und den Findorffhof und sie ließen sich von Warnckes Vater über das Leben im Moor vor einigen Jahrzehnten erzählen. „Geschichte kann spannend sein“, sagt Thiel. Sie sei ein wandelndes Lexikon, ergänzt Warncke lachend. Gemeinsam entwickeln die Frauen die Art von Büchern, die Thiel als Kind selbst gern gelesen hätte. Natur wird in Abenteuer verpackt. „Dadurch taucht man mit Haut und Haar ein“, sagt sie. Diesem Erzählmuster bleiben sie auch bei Findorff treu.
„Wenn man das Material im Kopf hat, kann man eine fantastische Geschichte daraus machen“, sagt Christa Warncke über ihren Part. Und wahrlich fantastisch beginnt die Handlung in der Grasberger Kirche. Das sei ein zentraler Ort, begründen die Autorinnen. Dort sitzt der zehneinhalbjährige Lenny in der Kirchenbank. Er ist neu in Grasberg und hält sowohl einen Ort mit diesem Namen, als auch Kirchen für die „wohl langweiligsten Orte, die man an einem Sonntagmorgen besuchen kann“. Aber schon beginnt das Abenteuer.
Lenny sieht einen, der Kerzen futtert, rülpst, reimt und der sich ihm als „Dierk vun Grasbarg“ vorstellt. Er wohnt in der 1784 von Moorkommissar Findorff erbauten Kirche. Das Thema ist eingeführt und wo lässt sich mehr über die Vergangenheit erfahren als direkt in eben jener: Dierk zückt seine Taschenuhr mit Zauberspiegel und murmelt auf Platt: „Speegel, Speegel in mien Hand, wie wör dat woll wesen in düt Land“? Die Meisterin der Zeit erscheint und nimmt die beiden mit ins Jahr 1750. Noch ist das Moor kein sonderlich wohnlicher Ort. Aber da gibt es ja den „Königlichen Moorcommissario Jürgen Christian Findorff“. Der habe einen „verdammt guten Plan ausgearbeitet“, schwärmt Dierk und reimt, der Mann sei eine „coole Socke“ und „gebildet bis zur Locke“.
Lenny hört von stundenlangen Fußmärschen zur Kirche, bevor es in Grasberg eine Kirche gab. Und diese Wege wurden noch länger, wenn die Hoogländer mal wieder die Brücke über den Kanal zerstört hatten. So heißen im Buch die Geestbewohner, die wenig begeistert über die neuen Nachbarn im Moor waren. Die Moorbewohner nennen Thiel und Warncke Deeperländer. Oder Lenny erfährt, dass jeder Bauer bei der Moorbesiedlung eine Fläche bekam, die so groß ist wie 30 Fußballfelder. Das erzeuge ein Bild, und anhand dessen erzählt Barbara Thiel über die dahinter liegende Recherche: Ein Morgen klinge nach festem Maß, aber das sei es gar nicht gewesen, sondern variierte in seiner Größe von Region zu Region.
Selbst der Name Lenny ist kein Zufall. Thiel und Warncke wählten unter den Namensfavoriten von vor zehn Jahren einen aus, der zu Dierk passt. Einfach ins Blaue schwadronieren, das mögen beide nicht. „Ich ärgere mich, wenn ein Buch unlogisch ist“, sagt Thiel. Bei ihnen stimme alles. Auch die Schreibung der plattdeutschen Redewendungen. Und über all dem steht der Anspruch, ein Lebensgefühl zu vermitteln. Das gelingt ihnen beispielsweise mit dem Rezept für Buchweizenpfannkuchen, der einst traditionellen Speise im Moor.
Bei so viel Informationen besteht die Kunst im rechten Maß aus Schreiben und Weglassen. Einiges werde auch nur bildlich transportiert, und die Autorinnen schwärmen, dass Illustratorin Lea Fröhlich genau so zeichne, wie sie die Bilder in ihrer Vorstellung sähen. Wer noch tiefer eintauchen wolle in Zeit und Wirken von Jürgen Christian Findorff, etwa für ein Schulreferat, könne dies mit dem Expertenwissen im Anhang des Buches tun.