Sie haben bereits 2015 einen Bestseller über die Selbsthilfe bei Burn-out und Depression veröffentlicht. Jetzt haben Sie ein Buch über die Selbsthilfe bei Angststörungen und Panikattacken geschrieben. Was war die Motivation für das inzwischen vierte Buch?
Sabine Gapp-Bauß: Das Thema Angst ist bei der Depression oft ein zentrales Thema, und ich konnte es in meinem letzten Buch nicht detailliert genug darstellen. Außerdem habe ich sehr viele Klienten erlebt, die über Jahre ihre Ängste nicht überwinden konnten. Selbst- und Stressmanagement sind mein Thema. Das zieht sich durch alle meine Bücher.
Warum haben Sie sich speziell mit dem Thema Angst auseinandergesetzt?
Ich möchte, dass Menschen sich selbst besser verstehen und steuern können. Neurobiologisch ist vieles so einfach zu erklären und dadurch hilfreich für das Verständnis. Ich sehe mich als Brückenbauerin, die den Menschen Mut macht und ihnen hilft zu verstehen, woran es liegt, dass sie immer so schnell ihre gesunde Balance verlieren. Die alte Verhaltenstherapie behandelt vielfach nur die Symptome. Wenn man versucht, etwas nur abzutrainieren, setzt man auf den einen Stress noch einen anderen obendrauf. Das kann bei tief liegenden Ängsten nicht funktionieren. Man muss das Problem Angst ganzheitlich betrachten.
Der Buchmarkt wird überflutet mit Ratgebern. Was macht Ihre Bücher anders?
Es ist der ganzheitliche Ansatz, der das tiefe Verstehen, die Stärkung des körperlichen Empfindens und das Reflektieren über sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Der Einfachheit halber habe ich vier Schaltstellen formuliert, an denen man „drehen“ kann. Die meisten Ratgeber geben Methoden an. Ich hole die Menschen in ihrem Unvermögen ab, irgendwelche Methoden anzuwenden und zeige auf, wie sie ihre Schwachstellen und Defizite erkennen und stärken können. Es wird zum Beispiel oft geraten, „Sport“ zu treiben. Völlig unsportliche Menschen quälen sich dann zum Training. Das bringt nichts. Ich schaue mir den ganzen Menschen an und suche nach Methoden, die in Harmonie mit dem Betroffenen funktionieren. Einem unsportlichen Menschen empfehle ich beispielsweise das Schwingen mit den Armen. Wichtig ist, dass der Betroffene auch Lust auf die Bewegung hat.
Sie setzen in Ihren Büchern darauf, dass Betroffene ihre Ängste verstehen. Wie machen Sie das in der Praxis?
Den meisten Menschen fehlt ein verständnisvolles Empfinden für sich selbst. Ich „werbe“ sozusagen um diese Selbstempathie. Dabei arbeite ich viel mit Humor. Ich frage Betroffene zum Beispiel nach psychischen „Altlasten“, ganz salopp, weil das Leben für die Betroffenen schon schwer genug ist. Auch erarbeite ich mit den Klienten zusammen die Hauptgründe für ihre angstvollen Reaktionen. Sie haben mit Vergangenem und Gegenwärtigem zu tun. Ich gehe davon aus, dass die Angst nur einen Teil ihrer Persönlichkeit ausmacht. So kann jemand in seinem Beruf sehr kompetent sein, in bestimmten Situationen aber wie ein Kleinkind reagieren. Wer versteht, dass die Angst nur ein Teil von ihm ist, versteht, dass dieser Teil Hilfe braucht.
Warum kommen die Menschen gerade zu Ihnen?
Ich habe selbst viel Leid erfahren und kann die Betroffenen deshalb besser verstehen als ein reiner „Profi“. Das merken die Menschen. Sie fühlen sich verstanden. Gerade beim Telefon-Coaching ist das wichtig, um Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Das sind Erfahrungen, die kann man nicht lernen.
Sie geben Betroffenen konkrete Tipps für den Alltag, darunter auch zahlreiche Bausteine aus dem Yoga. Warum Yoga?
Yoga ist eine geniale Disziplin, weil sie auf einfache Weise hilft. Yoga ist nicht nur Sport. Yoga ist ganzheitlich. Da wird nicht hyperventiliert, da wird sanft geatmet. Das bringt den Menschen ins Gleichgewicht. Deshalb habe ich Übungen herausgegriffen, die besonders gut „erden“ und gleichzeitig in eine tiefe Ruhe bringen. Angst hat etwas mit Enge zu tun. Deshalb ist es wichtig, sich zu weiten. Und das geht besonders gut mit bestimmten Yoga-Übungen. Das können auch Menschen, die unsportlich oder sehr verkopft sind. Wer seinen Körper spürt, nimmt auch seine Gefühle wahr.
Was sagen Sie den Betroffenen, wenn sich die Gedanken nur im Kreis drehen?
Ich nenne eine Reihe von Notfallmaßnahmen, die dazu führen, dass das limbische System wieder aus dem Alarmzustand herauskommt, denn erst dann kann man wieder bewusst sich selbst reflektieren. Wir können nicht anders als denken. Wir müssen aber bewusst nachdenken können, um unsere Ängste runterzufahren. Das kann man in angstfreien Momenten üben.
Die Zahl der Menschen mit psychischen Erkrankungen steigt. Woran liegt das?
Tatsächlich steigt die Zahl der Erkrankten. Einerseits sind die Anforderungen an den Menschen immer komplexer und andererseits ist die Leidensfähigkeit für schwierige Lebenssituationen geringer geworden. Hinzu kommt, dass psychische Erkrankungen nicht mehr verschwiegen werden. Vielmehr erwarten die Menschen, dass ihnen geholfen wird. Die Schwelle zur Angst ist also niedriger. Hinzu kommt, dass wir zu wenig körperlich arbeiten. Es stellt sich also keine zufriedene körperliche Erschöpfung ein. Deshalb werden wir immer nervöser. Zur Bewältigung des Lebens braucht es aber einen gewissen „Neutralzustand“, aus dem heraus wir die Dinge nüchtern betrachten können.
Frauen sind besonders häufig von Depressionen betroffen. Warum?
Männer greifen bei Problemen eher zum Alkohol, lassen sich nicht gern helfen. Dahinter stecken auch schwere psychische Probleme. Frauen sprechen viel eher über ihre Probleme.
Meinen Sie, dass Ihr Buch eher Frauen oder auch Männern hilft?
Mein Buch kann Männern wie Frauen helfen. Der Leidensdruck muss allerdings groß genug sein. Man muss seine Ängste wirklich ernsthaft überwinden wollen.
Warum sind Menschen in sozialen Berufen besonders von Ängsten betroffen?
Menschen in sozialen Berufen geben oft mehr von sich als sie zurückbekommen. Solche Menschen sind oftmals empfindsamer als andere. Wenn sie sich nicht abgrenzen, verlieren sie sich. Wer seine Mitte verliert, gerät schnell in inneren Stress, und das kann Ängsten den Boden bereiten. Das gilt insbesondere für lehrende und pflegende Berufe.
Kann ein Selbsthilfe-Buch die Therapie ersetzen?
Nein, auf keinen Fall. Das Buch ist ein zusätzliches Angebot oder eine erste Orientierung.
Das Interview führte Silke Looden.
Sabine Gapp-Bauß
ist Ärztin für Naturheilverfahren und Hypnose-Therapeutin. Die 70-Jährige lebt in Lilienthal. Der Ratgeber „Angststörungen und Panikattacken dauerhaft überwinden“ ist ihr viertes Buch. Die Medizinerin hat bis 2017 in Bremen praktiziert. Heute hält sie Vorträge und gibt Seminare. Sie gilt als Expertin für Stress- und Selbstmanagement und ist insbesondere in der Lehrerfortbildung gefragt.
Weitere Informationen
Das Buch „Angst-Störungen und Panikattacken dauerhaft überwinden – so funktioniert effektive Selbsthilfe“ von Sabine Gapp-Bauß ist im VAK Verlag erschienen, hat 326 Seiten und kostet 19,90 Euro.