Lilienthal. In Worphausen, Seebergen oder Oberende hatten die Reetdachdecker in den vergangenen Wochen gut zu tun. Privatleute haben alte Scheunen und Häuser wieder auf Vordermann bringen lassen, damit die Schmuckstücke auch noch die kommenden Jahrzehnte überdauern. Möglich wird dies auch mit Fördergeldern, denn die Bauvorhaben werden mit 30 Prozent der Baukosten bezuschusst. Grundlage ist der Dorfentwicklungsplan, den das Amt für regionale Landesentwicklung (ArL) im Sommer 2019 genehmigt hat, und der bis 2025 abgearbeitet werden soll. Dazu gehört auch das Ziel, ortsbildprägende private Bauten in der Vier-Dörfer-Region zu erhalten.
Zwei der Hauseigentümer, die von dem Förderprogramm profitieren, wohnen an der Mooringer Straße in Worphausen. Stephan Kück und sein Vater Hans-Hermann haben sich ins Zeug gelegt, um die alte Torfscheune, die direkt an der Straße steht, vor dem Verfall zu retten. Der Holzbau auf dem Hof der Familie stammt wohl aus dem 18. Jahrhundert und wurde zu Zeiten errichtet, als die Vorfahren der Kücks hinter der Hofstelle noch Torf abbauten, um ihn per Kahn als Brennstoff nach Bremen zu verfrachten. Direkt vor der Scheune verläuft heute noch der Graben, der in früheren Zeiten jedoch noch um einiges breiter war. Vom Kanal aus führte der Wasserweg über die Semkenfahrt bis zur Hamme und dann weiter in Richtung Bremen. In der Scheune konnten die Torfstücke bis zum Abtransport trocken und luftig lagern.

Aus Weidengeflecht besteht die Füllung der Fachwerks der Kückschen Scheune.
Zuletzt hatte den Kücks das Reetdach auf der Südseite des Gebäudes Kopfzerbrechen bereitet: Es regnete durch, die Halme waren vergammelt, nachdem sich Moos darauf flächendeckend breit gemacht hatte. Das Dach auf der gegenüberliegenden Seite hatte die Familie 1994 erneuert. Nun musste auch auf der anderen Seite etwas passieren, ansonsten wäre die alte Scheune wohl irgendwann in sich zusammengefallen oder hätte abgerissen werden müssen. Auf der Hofstelle wird das Gebäude nicht mehr unbedingt benötigt, denn Landwirtschaft betreiben die Kücks schon lange nicht mehr. Die Eigentümer standen vor der schwierigen Entscheidung: Sollen sie noch einmal viel Geld in die Hand nehmen für eine Scheune, die nicht mehr wirklich gebraucht wird? Oder lässt man es zu, dass der Bau in absehbarer Zeit verschwindet? Den Kücks widerstrebte dieser Gedanke, und das Förderprogramm gab zusätzlichen Schub, die Sanierung tatsächlich anzupacken. Also holten sie Kostenvoranschläge ein, schmiedeten Pläne für die Dachsanierung und die Erneuerung der Balken im benachbarten Schrägschuppen und reichten ihren Antrag in der Bremerhavener Geschäftsstelle der Lüneburger Behörde ein. Erst als die Genehmigung kam, durften sie loslegen. Nachfragen beim Amt für regionale Entwicklung konnten unkompliziert geklärt werden. „Alle waren sehr hilfsbereit. Das hat gut funktioniert“, sagt Stephan Kück.
Etwas Geduld war allerdings gefragt, bis der Reetdachdecker tatsächlich auf der Baustelle auftauchte. Die Auftragsbücher der Firmen, die über solche speziellen Fertigkeiten verfügen, sind voll. Und auch der heiße Sommer hat dazu beigetragen, dass es auf den Baustellen nicht immer so flott vorangehen konnte, wie sich das die Beteiligten vorher gedacht hatten. Bei Temperaturen von über 35 Grad mussten die Handwerker im August des Öfteren schon mittags die Segel streichen – an Arbeiten auf dem Dach bei sengender Hitze war nicht zu denken.
Neues Reet fürs Wohnhaus
Auch Ilona Behrens hat etwas warten müssen, bis die Reetdachdecker der Firma Wellbrock aus Hambergen-Heilsdorf auf ihrem Hof an der Mooringer Straße 3 aufkreuzten. In ihrem Fall geht es nicht um eine alte Scheune, sondern um das Wohnhaus, das ebenfalls mit Reet gedeckt ist. Mehr als 40 Jahre lang hat es auf der Südseite durchgehalten, doch war es allmählich an der Zeit, tätig zu werden. „Das Gute am Reetdach ist, dass nicht alles auf einmal gemacht werden muss, sondern man schrittweise erneuern kann“, berichtet Behrens, die auf dem Hof Kühe hält und eine Pferdepension unterhält. Der Hof ist der letzte in der Mooringer Straße, auf dem noch Landwirtschaft betrieben wird.

Das Haus von Ilona Behrens an der Mooringer Straße 3 erhält auf einer Seite ein neues Strohdach. Uwe Prigge (vorne) und Wilfried Wilke von der Firma Wellbrock aus Hambergen übernehmen das. Die Sanierung wird unterstützt aus dem Fördertopf des Dorfentwicklungsprogramms.
Das Hauptgebäude, das sie von ihren Eltern geerbt hat, ist als Wohnhaus vermietet, Behrens selbst wohnt mit ihrem Mann und Kind in einem anderen Bauernhaus gleich in der Nachbarschaft. Seit 1864 besteht die Hofstelle. Deren Erhalt liegt Ilona Behrens am Herzen, sie hat sich intensiv mit der Findorffschen Siedlungsgeschichte befasst und als ausgebildete Architektin ein besonderes Augenmerk auf die alte Bausubstanz. Wenn sie über die Art und die Qualität spricht, mit der die Vorfahren Häuser errichtet haben, kommt Behrens ins Schwärmen. Sie freut sich darüber, dass es Förderprogramme gibt, die ihr helfen, die alte Bausubstanz zu erhalten. Den bürokratischen Aufwand, der mit den Anträgen verbunden ist, nimmt sie dafür in Kauf.
Die Holzfenster sind neu gestrichen worden und Behrens freut sich, dass auch die Reetdachdecker nach dem Vorlauf nun losgelegt haben und das in die Jahre gekommene Dach teils ausbessern oder komplett erneuern. An manchen Stellen ist die untere Reetschicht noch so gut, dass sie auf den Sparren liegen bleiben kann und nur eine zusätzliche Schicht oben drauf kommt. Wilfried Wilke, Uwe Prigge und seine Kollegen von der Firma Wellbrock wissen, was zu tun ist, blicken sie doch auf eine langjährige Berufserfahrung zurück.

Bevor etwas Neues draufkommt, muss das Alte runter: Stephan Kück und sein Vater Hans-Hermann holen das ausgediente Reet vom Dach.
So wie an der Mooringer Straße gibt es auch anderswo Baustellen, die im Rahmen der Dorfentwicklung aus öffentlichen Fördertöpfen mitfinanziert werden: In der Neumooringer Straße geht es um die Erneuerung des Heidefirstes, der Holzfenster und -türen am Haupthaus sowie Pflasterarbeiten, an der Worphauser Landstraße ist ebenfalls ein Reetdach erneuert worden. Auch in Seebergen an der Bergstraße ist das passiert, zudem wird der Wiederaufbau einer Fachwerkscheune unterstützt. Auch in Oberende profitiert ein Landwirt von dem Förderprogramm, indem Zuschüsse für die Dacherneuerung einer Fachwerkscheune fließen.
463 000 Euro Fördergelder für private Antragsteller bewilligt
Im Sommer 2019 hat das Amt für regionale Landesentwicklung den Dorfentwicklungsplan für Worphausen, Sankt Jürgen, Heidberg und Seebergen genehmigt. Seither geht es an die Umsetzung der Ideen, die die Menschen in der „4-Dörfer-Region zwischen Hamme und Wümme“ zusammengetragen und in ihrem Leitfaden festgehalten haben. Fördergelder stehen in Aussicht, von denen auch Privatleute bei Um- und Neubauten ihrer Häuser in den Ortschaften profitieren können. Zum Stichtag 15. September sind laut der ArL-Geschäftsstelle Bremerhaven 22 Förderanträge gestellt worden, 14 Projekte davon haben Privatleute und Vereine auf den Weg gebracht, die übrigen größeren Vorhaben plant die Gemeinde.
Laut ArL-Geschäftsstellenleiter Lienhard Varoga sind den privaten Antragstellern fast 463 000 Euro an Fördergeldern bewilligt worden – bei der öffentlichen Hand liegt die Zusage bei 590 000 Euro, sodass im ersten Jahr des Programms etwa 1,05 Millionen Euro an Fördermitteln nach Lilienthal fließen. Am 15. Oktober endet die Antragsfrist für das kommende Jahr. Das aus EU-Geldern gespeiste Dorfentwicklungsprogramm läuft bis 2025, noch ist nicht ganz klar, wie die Fördertöpfe in den nächsten Jahren ausgestattet sind. Doch das soll laut ArL niemanden davon abhalten, für die 4-Dörfer-Region einen Antrag einzureichen.
Wer Erneuerungsmaßnahmen plant und bei der Gestaltung den dörflichen Charakter berücksichtigt, hat die Chance auf eine Zuwendung. Es geht um Dächer, Fenster, Fassaden oder Hofflächen. Auch Landwirte, die alte Ställe oder Scheunen anders nutzen wollen und dafür einen Umbau planen, können auf finanzielle Hilfe hoffen. Stellen natürliche Personen oder Vereine den Antrag, beträgt die Förderhöhe ein Viertel der Ausgaben, unter Umständen aber auch noch fünf Prozent mehr. 2500 Euro sind das Minimum der Zuwendung, sprich: Private Bauherren müssen mindestens 8240 Euro brutto investieren, um überhaupt zum Zuge kommen zu können. Pro Objekt werden maximal 50 000 Euro an Fördergeldern ausgezahlt. Die Anträge werden über die Gemeinde Lilienthal bei der Geschäftsstelle in Bremerhaven eingereicht. Sie werden dann nach einem festgelegten Schema bewertet. Daraus ergibt sich ein Ranking. Je nachdem, wie viel Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, kommen die Anträge gemäß der Rangfolge zum Zuge, bis das Geld aufgebraucht ist.