Lilienthal. Für den Fotografen dreht Britta Melcher gern noch eine Extra-Runde auf der Straße. Eine kurze Wende, dann fährt sie mit ihrem blauen Rad zurück unters Carport-Dach. Das Gefährt, mit dem sie unterwegs ist, hat drei Räder und wird von einem Elektromotor unterstützt. Die 44-Jährige braucht es, um mobil sein zu können. Britta Melcher hat Multiple Sklerose, ihr Nervensystem ist chronisch entzündet, und das Gehen fällt ihr schwer. Doch davon lässt sich die zweifache Mutter und ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Gemeinde Lilienthal nicht unterkriegen. „Ich kann viele Dinge nicht, aber ich kann auch noch vieles. Das stelle ich lieber voran. Alles andere hilft nichts“, sagt die Lilienthalerin.
Seit sie 17 Jahre alt ist, weiß Britta Melcher von der Diagnose. Sie erinnert sich noch gut an den Arztbesuch und daran, dass ihr der Vater danach sagte, sie könne jetzt ruhig weinen. Doch dazu sah die junge Frau keinen Anlass. Sie fühlte sich gut, nicht krank. Und sie wollte Abitur machen und dann hinaus in die Welt, so wie alle anderen jungen Leute um sie herum auch. Und genau das tat sie dann auch, studierte an der Uni Französisch und Geschichte auf Lehramt, ging fürs Studium ein Jahr nach Frankreich, machte das Erste Staatsexamen, heiratete. Später sattelte sie um, ließ sich zu Touristik-Assistentin ausbilden und organisierte bei Wolters in Bremen Reisen in alle Welt. Da war ihr Sohn schon geboren, 2014 folgte die Geburt der Tochter.
Früher Hochsprung und Mehrkampf
Britta Melcher hat von Kindesbeinen an immer gern Sport gemacht, als Mädchen schaffte sie es zur Deutschen Leichtathletik-Meisterschaft. Hochsprung und Mehrkampf waren ihr Ding, bis ihr die Erkrankung einen Strich durch die Rechnung machte. Doch die Freude an der Bewegung ist geblieben – trotz aller Einschränkungen und Schübe, die MS mit sich bringt. Jede Woche ist die 44-Jährige zweimal im Lilienthaler Hallenbad anzutreffen, wo sie ihre Runden dreht. „Die Schwimmer sind nette Menschen. Da fühle ich mich wohl“, sagt sie. Auch anderswo sucht sie neue Herausforderungen: Aus einer Laune heraus bewarb sie sich vor Kurzem als Kandidatin bei der Fernseh-Quizsendung „Gefragt – gejagt“ und wurde prompt zum Casting nach Osnabrück eingeladen. Ob sie die Chance erhält, dort anzutreten, weiß die Lilienthalerin noch nicht. Die Fernsehleute brauchen noch Zeit.
Seit acht Jahren ist Britta Melcher die Behindertenbeauftragte in der Gemeinde Lilienthal – ein Ehrenamt, um das sie sich gerne kümmert. Die Lilienthalerin hat ein offenes Ohr für die Belange und Probleme der behinderten Menschen, die in der Gemeinde leben. Neulich rief eine Mutter an, die ihr schilderte, dass es Probleme mit der Haltestelle für den Transport ihrer Tochter zur Schule gibt. Ein anderer Anrufer monierte, dass die Knöpfe an der Ampel für ihn nicht gut zu erreichen seien. Britta Melcher weiß aus Erfahrung, dass man manchmal dicke Bretter bohren muss, um etwas zu erreichen und dass die Einflussmöglichkeiten begrenzt sind. In den politischen Gremien der Gemeinde kann sie beratend tätig sein, ein Stimmrecht hat sie in ihrer Funktion nicht. „Ich versuche, mein Möglichstes zu tun, um zu helfen. Es ist wichtig, dass die Menschen mit Behinderungen einen Ansprechpartner haben“, sagt sie. Im nächsten Frühjahr endet ihre dritte Amtsperiode. Britta Melcher kann sich vorstellen, noch einmal drei Jahre im Ehrenamt dranzuhängen. Seit 1997 gibt es in der Gemeinde das Ehrenamt des Behindertenbeauftragten. Derjenige, der die Aufgabe übernehmen möchte, wird auf Vorschlag vom Gemeinderat bestellt.
Dass es für Menschen mit Behinderungen schwierig ist, einen passenden Arbeitsplatz zu finden, diese Erfahrung macht Britta Melcher derzeit selbst. Bis zu den Sommerferien hatte die Lilienthalerin eine Stelle an der Integrierten Gesamtschule in Osterholz-Scharmbeck, wo sie, wie sie sagt, als „Hilfslehrerin“ mit im Unterricht saß, um an sieben Stunden in der Woche Schüler zu betreuen. Morgens fuhr sie mit dem regulären Schulbus in die Kreisstadt, nachmittags ging es zurück. Gerne hätte das aus ihrer Sicht noch so weitergehen können. Doch nach zwei Jahren lief der Vertrag aus, eine Verlängerung war nicht möglich. „Nun hänge ich in der Luft. Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll“, sagt Melcher. „Schule wäre etwas, was mich interessieren würde. Kindergarten wäre eher schwierig, denn da müsste man den Kindern auch mal hinterherrennen können. Das geht nicht“, sagt die 44-Jährige.
Beim Arbeitsamt ist sie schon vorstellig geworden, doch da erklärte man sich für nicht zuständig. Auch mit den Mitarbeiterinnen der neuen Teilhabeberatung im Lilienthaler Ortszentrum hat Melcher schon gesprochen. Arbeitsplätze vermittelt man dort nicht, doch die Teilhabeberatung kann beraten, Ansprechpartner und Institutionen nennen, bei denen die Menschen mit Behinderungen vorstellig werden können. Auch wenn Anträge gestellt werden müssen, ist die Teilhabeberatung zur Stelle. Britta Melcher hat eine leise Hoffnung. Irgendwo müsse es doch möglich sein, für ein paar Stunden am Vormittag an zwei Tagen in der Woche einer Beschäftigung nachzugehen. Etwas mit Französisch wäre schön, mit Kindern, Telefonieren geht auch. So wie es ist, soll es nicht bleiben. „Im Moment fühle ich mich ausgebremst“, sagt Melcher.