Lilienthal. Clara Giel ist ein freundlicher Mensch, hat eine klare Stimme und eine kommunikative Ader – wie gemacht also für den Job, den sie für die Kirchengemeinde Lilienthal gerade erst übernommen hat. Die 20-Jährige kümmert sich darum, Kirchenmitglieder ab 81 Jahren an ihren Geburtstagen anzurufen, um ihnen persönlich zu gratulieren. "Ich melde mich, sage meinen Satz und alles andere zeigt sich dann", berichtet die junge Frau. So kurz wie beim ersten Mal vor einigen Tagen, als das Gespräch nach einer Minute beendet war, muss es ja nicht immer laufen. Doch das hängt stets vom Gegenüber ab.
Der Anruf-Service der besonderen Art ergänzt den Besuchsdienst, der in der Kirchengemeinde Lilienthal schon seit ewigen Zeiten ehrenamtlich organisiert wird. Auf rund 600 Besuche kommen die Helferinnen und Helfer im Jahr. Sie schauen an den Geburtstagen vorbei, wenn jemand 80 oder 85 Jahre alt wird, oder später, wenn gewünscht, auch jährlich. Clara Giel schließt die Lücke zwischen dem 81. und 84. Geburtstag. Noch ist sie allerdings in der Einarbeitungsphase.
Seit dem 1. April hat sie ihren Arbeitsplatz im Gemeindehaus an der Klosterstraße. Es ist ein Platz, der eigens auf sie und ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist und sie in die Lage versetzt, trotz ihrer körperlichen Einschränkungen berufliche Erfahrungen zu sammeln. Sie sollen die junge Frau weiter bringen, am besten so, dass sie irgendwann einen Job auf dem 1. Arbeitsmarkt bekommt. Momentan läuft alles als Maßnahme, die sich unterstützte Beschäftigung nennt und die im Auftrag der Agentur für Arbeit von der Werkstatt Nord verantwortet wird.
Unterstützung von Ehrenamtlichen
Ohne ein Team von ehrenamtlichen Kirchenmitgliedern, das Clara Giel bei ihrer Tätigkeit unterstützt, ginge es nicht. Wenn sie nicht gerade dabei ist, die Listen der Geburtstagskinder zu checken, übernimmt sie auch ganz normale Sekretariatsarbeit. Gerade erst hat sie die Konfirmationssprüche für den aktuellen Jahrgang abgetippt und E-Mail-Verteiler für die kommenden Konfirmanden erstellt. Auch Abkündigen für den Gottesdienst oder die kirchlichen Nachrichten für die Zeitung laufen über ihren Schreibtisch. Auf längere Sicht wird Clara Giel alle Anrufe entgegen nehmen, die im Kirchenbüro landen.
Vor allem für die Arbeit am Computer benötigt die 20-Jährige Unterstützung, denn ihre Sehkraft beträgt 40 Prozent. Damit sie Gedrucktes gut lesen kann, hat sie von zu Hause eine Kamera mitgebracht, die mit dem PC verbunden ist und mit deren Hilfe sich die Schrift je nach Bedarf vergrößern lässt. Trotzdem ist es unerlässlich, dass am Ende noch mal jemand draufschaut und die Endkontrolle übernimmt. Drei feste ehrenamtliche Helfer stehen Giel zur Seite sowie zwei Springer, die da sind, wenn die anderen mal ausfallen sollten. Dass der Kreis relativ überschaubar ist, kommt Giel entgegen. Sie braucht eine feste Grundstruktur, alles muss möglichst gut organisiert sein, dann kommt sie im Alltag am besten zurecht. Hartmut Geßner gehört zum Unterstützungsteam: "Im Idealfall ist der Job der, dass wir überflüssig werden", sagt er. Sprich: Die größtmögliche Selbstständigkeit von Giel ist das Ziel der gemeinsamen Anstrengungen.
Mit dem Küster fing es an
Die junge Frau fühlt sich an ihrem Arbeitsplatz pudelwohl. "Es läuft gut", sagt sie. Das Umfeld, in dem sie sich bewegt, ist ihr aber auch schon länger vertraut: In Lilienthal ist sie aufgewachsen und konfirmiert worden und kirchlich aktiv, so wie ihre Großeltern auch. Was gerade anliegt, spricht Clara Giel mit Büroleiterin Sabine Kallmeyer ab. Sie organisiert die Arbeit und verteilt Aufgaben, und das "on top" über ihre eigentlichen Pflichten und ihre Arbeitszeit hinaus, wie Pastor Wildrik Piper betont.
Insgesamt freut er sich darüber, dass viele Menschen an einem Strang ziehen, um dieses Inklusionsprojekt zum Erfolg zu führen. Für den Lilienthaler Pastor wird mit Clara Giel das Engagement fortgesetzt, das schon 30 Jahre lang praktiziert wird. So lange ist der gehörlose Küster Wolfgang Stelljes-Kempff schon in der Kirchengemeinde tätig, und alle haben sich auf die Einschränkungen eingestellt, auch die Besucher. Der Küster geht demnächst in den Ruhestand, am 29. Mai soll er verabschiedet werden.
Von Dienstag bis Freitag ist Clara Giel für aktuell drei Stunden im Gemeindebüro anzutreffen. Einen guten Teil ihrer Arbeit verwendet sie derzeit darauf, Telefonnummern ausfindig zu machen. Denn über das Einwohnermeldeamt weiß die evangelische Kirchengemeinde zwar, wer ihr angehört. Doch Rufnummern werden nicht übermittelt. Die Recherche ist gar nicht so einfach, denn immer weniger Menschen veröffentlichen ihre Nummern im örtlichen Telefonbuch. Nur von gut einem Viertel der Menschen, die auf der Geburtstagsliste stehen, ist die Telefonnummer bekannt. Wer also wünscht, angerufen zu werden, kann sich gern mit dem Gemeindebüro in Verbindung setzen. Clara Giel hat ein offenes Ohr für die Anliegen der älteren Menschen. Falls Anrufer den Wunsch äußern, gern mal ein direktes Gespräch mit den Pastoren zu führen, leitet sie diesen weiter.
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