Das Thema Nachhaltigkeit ist in Lilienthal auf der kommunalen Ebene angekommen. Mehr als 120 Menschen kamen am Dienstagabend zur Podiumsdiskussion ins Kulturzentrum Murkens Hof, um die Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderates mit Fragen zu löchern. Der kleine Club of Lilienthal, der den großen Club of Rome zum Vorbild hat, lag mit seiner Initiative für mehr Klimaschutz offenbar genau richtig. Bürgerinnen und Bürger äußerten ihren Unmut über die Wachstumspolitik, forderten mehr Förderung für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), eine Baumschutzsatzung und ein Radwegekonzept.
„In der Bürgerfragestunde ist ein differenzierter Austausch zwischen Bürgern und Politikern nicht möglich“, erklärte Organisator Klaus Bönkost, warum der Club of Lilienthal mit der Veranstaltung für mehr Transparenz sorgen will. „Wir fordern eine nachhaltige Entwicklung der Kommune und drängen auf eine radikale Neuorientierung“, so der emeritierte Wirtschaftsprofessor in seiner Begrüßung. Bis heute habe die Gemeinde kein Klimakonzept. Das müsse sich dringend ändern. Auf dem Podium begrüßten die Moderatoren Berit Böhme aus Worpswede und Uwe Rosenberg aus Borgfeld die Lilienthaler Kommunalpolitiker: Bürgermeister Kristian Tangermann (CDU), Pascal Holz (CDU), Oliver Blau (SPD), Meike Artmann (Grüne), Reinhard Seekamp (Die Linke) und Ingo Wendelken (Querdenker). Jeder bekam drei Minuten für ein Eingangsstatement.
„In der Wachstumsfalle“
Kristian Tangermann sprach sich für eine „Politik mit Augenmaß“ aus. Pascal Holz erklärte, man müsse bei der Klimadebatte die Schulden und vor allem die Menschen im Blick behalten. Oliver Blau trat ein für weniger Versiegelung und mehr Elektromobilität. Meike Artmann betonte, dass das Wachstum endlich sei. Sie bedauerte, dass die Grünen mit ihrem Vorstoß für die Ausrufung des Klimanotstandes in Lilienthal gescheitert seien. Reinhard Seekamp sprach aus, was offenbar viele im Publikum dachten: „Lilienthal steckt in der Wachstumsfalle.“ Ingo Wendelken setzte sich für den Erhalt der Biodiversität ein. Anschließend war das Publikum an der Reihe. Wieder lief die Sanduhr. Eine Antwort, drei Minuten.
Die Lilenthaler Rechtsanwältin Frauke Eickhoff-Bünemann fragte, wo denn die versprochene Baumschutzsatzung bleibe: „Ich sehe hier einen großen Baumfrevel.“ Tangermann erklärte, dass das Butendieker Gehölz und das Mittelholz bereits unter Landschaftsschutz stünden, Baumpflegearbeiten aber notwendig seien, schon aus Gründen der Gefahrenabwehr.
Die anschließende Diskussion wurde durch die Siedlungspolitik der Gemeinde bestimmt. „Davon profitieren die Investoren und die Landwirte, die ihr Land teuer verkaufen“, sprach ein Gast offenbar für viele. Das Nachsehen hätten die Bürger. Die Gemeinde könne die Infrastruktur für so viele Menschen gar nicht vorhalten. Kindergärten und Schulen seien am Limit. Wendelken pflichtete dem bei: „Neubürger bringen kein Geld. Neubürger kosten Geld.“ Seekamp erklärte, dass die Landwirte sich keinen Gefallen mit dem Verkauf ihrer Ländereien täten. Der Flächenfraß treibe die Pachtpreise in die Höhe. Er forderte, auf das geplante Neubaugebiet an der Mauerseglerstraße zu verzichten.
Die aktuelle Planung geht von 250 neuen Wohneinheiten aus. Beschlossen ist das Baugebiet jedoch noch nicht. Eine Vertreterin des Reitervereins fragte, warum die Gemeinde die Existenz des Vereins aufs Spiel setze, indem sie ihm die Pachtflächen nehme. Bürgermeister Tangermann verwies auf den von ihm vorgeschlagenen Kompromiss, wonach nur ein Teil der Fläche bebaut werden würde: „Wenn wir unsere Kindergärten und Schulen auch künftig auslasten wollen, brauchen wir moderates Wachstum.“ Das sei für ihn nachhaltige Kommunalpolitik. Zudem sei die Wohnungsnot in Bremen groß. Da sei das Umland in der Verantwortung. Der Unmut im Saal war nicht zu überhören. Oliver Blau und Meike Artmann sprachen sich gegen das Neubaugebiet aus: „Wir haben die Infrastruktur nicht.“ Nachfragen gab es auch zur Flutbrücke. Die Hauptverbindungsachse zwischen Lilienthal und Bremen wird im kommenden Jahr durch einen Neubau ersetzt. Vor diesem Hintergrund kam die Forderung nach einer schnelleren Taktung der Straßenbahn sowie nach günstigeren Tickets auf. Pascal Holz erklärte im Hinblick auf die Vermeidung von Staus in Stoßzeiten: „Wir müssen den ÖPNV attraktiver gestalten.“ Wendelken sprach sich für eine Kooperation mit der Bremer Straßenbahngesellschaft aus, um den Individualverkehr während der Bauphase zu entlasten. Seekamp forderte eine Preissenkung: „Es ist nicht einzusehen, warum die Fahrt von Bremen nach Lilienthal teurer ist als die Fahrt nach Bremen-Nord.“ Tangermann erklärte hingegen: „Mobilität kostet Geld.“ Dafür erntete er Pfiffe. Reinhard Seekamp beruhigte die Szene: „Die Fahrt mit der Linie 4 nach Bremen zur Arbeit ist schon heute günstiger als mit dem Auto.“
Forderungen nach einem Radwegekonzept wies Pascal Holz mit Blick auf den Jan-Reiners-Weg zurück: „Wir sind da gut aufgestellt.“ Tangermann sieht dafür kein Geld in der Gemeindekasse angesichts von 85 Millionen Euro Schulden. Querdenker Wendelken sprach sich für ein Radwegekonzept aus, um Fördergelder für den Ausbau und die Sanierung zu bekommen. Wolfgang Dormann erinnerte an das eigentliche Thema der Veranstaltung, den Klimaschutz: „Wie will die Kommune den Kohlendioxid-Ausstoß pro Kopf reduzieren?“ Möglich sei dies zum Beispiel, indem CO2-Senken wie die Pferdewiesen nicht bebaut werden, betonte Meike Artmann.
In der Schlussrunde hatten die Parteienvertreter wiederum nur kurz Zeit, um zu erklären, was sie sich für Lilienthal wünschten, wenn die Gemeinde keine Geldsorgen hätte. Artmann und Blau würden alle kommunalen Gebäude mit Photovoltaik ausstatten. Holz würde den ÖPNV ausbauen. Wendelken würde Aufforstungen vornehmen. Tangermann indes wollte sich an dem Wunschkonzert nicht beteiligen. Er ließ die Zeit ungenutzt verstreichen.