Lilienthal. Das Stimmengewirr in der Aula der Integrierten Gesamtschule in Lilienthal ist groß. Mehr als einhundert Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnten Klassen nutzen den Aktionstag „Job-Blick“, um sich über verschiedene Berufe zu informieren. Firmen aus dem Handwerk, der Gesundheitsbranche, der Industrie und dem Bankwesen kommen in die Schule, stellen ihre Plakate auf und laden die Jugendlichen zum Speed-Dating.
Defne Tejek (16) und Alisha Klein (15) aus Lilienthal interessieren sich für einen Beruf in der Gesundheitsbranche. Ihre erste Station führt sie zur Zahnärztekammer Bremen. Die beiden erkundigen sich über die Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten. „Das war interessant“, sagt Defne. Viel Zeit hatten sie an der ersten Station nicht, gleich geht es weiter zur Gesundheit Nord. Speed-Dating eben. Kurze Kontaktaufnahme und weiter geht's zum nächsten potenziellen Arbeitgeber. Beim Bremer Klinik-Verbund erfahren die beiden, dass im Krankenhaus nicht nur Ärzte und Pflegekräfte arbeiten, sondern auch Fachkräfte in der Radiologie, im Labor, in der Informatik und in der Verwaltung. „Wenn Ihr im Krankenhaus arbeiten wollt, könnt ihr Euch den Job aussuchen“, sagt Lucas Köhner vom Personalmanagement. Er weiß, wie schwierig es geworden ist, Auszubildende zu finden. Defne und Alisha nehmen die Broschüren mit und wollen erst einmal ein Praktikum machen.
Persönlicher Kontakt
Oliver Stiering beobachtet das Speed-Dating. Er ist Ausbilder bei Nabertherm. Die Firma stellt Industrieöfen her und ist der wohl größte Arbeitgeber in Lilienthal. Die Verbundenheit zum Ort ist so groß, dass seinen Angaben zufolge jeder zweite Auszubildende aus Lilenthal kommt. Bei Nabertherm kann man zum Beispiel Mechatroniker werden oder auch Industriekaufmann. „Ein gutes Zeugnis wäre nicht schlecht“, sagt Stiering, „aber die Persönlichkeit ist wichtiger.“ Der Ausbilder findet, dass die jungen Leute heute selbstbewusster sind als noch vor ein paar Jahren, manchmal sogar ein wenig frech. Duckmäuser könne er jedenfalls bei der Ofenproduktion nicht gebrauchen. „Das ist Teamarbeit. Da muss jeder seinen Part eigenverantwortlich umsetzen.“
„Das Speed-Dating ist besonders für diejenigen wichtig, die die erste Hürde der Kontaktaufnahme zu einer Firma allein nicht schaffen“, sagt die Beauftragte für die Berufsorientierung an der IGS, Lehrerin Dörte Direnga. Nicht alle hätten bei der Ausbildungsplatzsuche ausreichend Unterstützung vom Elternhaus. Die Schule versuche diese Lücke zu schließen, indem sie Schüler und Unternehmen im wahrsten Sinne des Wortes an einen Tisch bringt. Dabei ist die Aktion „Job-Blick“ nur ein Baustein der Berufsfindung. Jede Woche bietet die Schule eine Berufsorientierung an, hilft bei Bewerbungen, beim Selbstmarketing. Zwei Mal in ihrer Schullaufbahn müssen die Schülerinnen und Schüler der IGS ein Praktikum absolvieren, eins in der neunten und eins in der zehnten Klasse. „So bekommen sie einen guten Einblick in die Berufswelt“, ist Dörte Direnga überzeugt.
Die beiden Schornsteinfeger Reinhard Diercks aus Grasberg und Burghard Hein aus dem Lilienthaler Ortsteil Seebergen informieren über ihren Job, der keineswegs nur aus Schornsteinfegen besteht. „Wir sind auch Energieberater“, sagt Diercks. So erkundigten sich die Kunden gern beim Kehrmann, welche neue Heizung Sinn mache. „Wir kennen die Werte der alten Heizung, und wir wollen den Leuten nichts verkaufen“, lacht er. So gesehen seien Schornsteinfeger auch Klimaschützer. Fabian Osterholz, Finn Rosenhagen und Silas Bähr erkundigen sich danach, ob man den Job auch noch mit 50 Jahren machen kann. „Schwierig“, sagt der Schornsteinfeger den 14-Jährigen. Deshalb sei es klug, den Meister zu machen. Dann könne man wie er später einen Kehrbezirk übernehmen und die jungen Leute aufs Dach schicken.
David Niemann ist Oberstufenleiter an der IGS. Es ist sein drittes Speed-Dating. Der Pädagoge ist überzeugt von dem Konzept: „Bei den großen Berufsmessen geht es zu anonym zu. Hier gibt es den direkten Kontakt zu den Firmen vor Ort. Das ist etwas ganz anderes.“ Niemann weiß, dass vor allem im Handwerk Nachwuchs fehlt. Deshalb gibt es beim aktuellen „Job-Blick“ besonders viel über Dachdecker, Schreiner, Maler und Zimmerer zu erfahren. „Wir bringen die Leute zusammen“, sagt Niemann und freut sich darüber, dass zwei seiner ehemaligen Schüler an diesem Tag in der Aula als Auszubildende von einem Werbeplakat herunter lächeln: „Die haben es geschafft.“