Osterholz-Scharmbeck. Immer montags und freitags wird es in der Ausgabestelle der Osterholzer Tafel, die im Gästehaus des Diakonischen Werkes im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck untergebracht ist, voll. Für einen kleinen Geldbetrag können sich bedürftige Menschen dort Lebensmittel abholen: Obst und Gemüse, Brot und andere Waren, die Geschäfte sowie Privatleute spenden. Für viele Tafel-Kunden ist dieses Hilfsangebot die einzige Möglichkeit, mit ihrem Geld bis zum Monatsende auszukommen. Doch am 16. März mussten Gästehaus und Ausgabestelle wegen des Coronavirus schließen. Was tun?
Dem Träger war es wichtig, den Menschen in dieser Zeit wenigstens mit Lebensmitteln zu helfen. „Ich sah, wie groß die Not war“, sagt Kirchenkreis-Sozialarbeiterin Angelika Meurer-Schaffenberg. Ihre Idee: Wenn die Bedürftigen nicht zur Tafel kommen können, kommt die Tafel zu ihnen. Seit diesem Entschluss ist sie nur noch am Organisieren. „Jeden Tag muss ich neu denken“, erzählt Meurer-Schaffenberg. Auch weil die Fürsorgepflicht, die sie beachten muss, nicht nur die Kunden der Tafel betrifft. Die ehrenamtlichen Helfer müssen ebenfalls vor einer Infektion geschützt werden.
70 Personen würden normalerweise freiwillig anpacken. Ein über Jahre eingespieltes Team. „Aber allein 66 von ihnen zählen zu den Risikogruppen“, sagt Meurer-Schaffenberg. Auf weitere vier Helfer musste sie verzichten, weil diese beruflich eingespannt sind beziehungsweise ihre Kinder betreuen müssen. Der Gruppe falle es schwer zu pausieren. Norbert Mathy, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck, ist voll des Dankes für sie: „Diese ehrenamtlich engagierten Frauen und Männer sind das Herz der Tafel.“
„Wir mussten also innerhalb kürzester Zeit eine neue Struktur aufbauen“, berichtet Meurer-Schaffenberg weiter. Doch tatsächlich war ihre Suche nach neuen Helfern schon beendet, bevor sie begonnen hatte. „Viele Menschen haben sich spontan gemeldet, ohne dass wir überhaupt einen Hilferuf gestartet hatten.“ Längst nicht alle gehören dem Kirchenkreis an oder haben überhaupt Kontakt zur Kirche. „Sie wollen einfach helfen“, freut sich die Sozialarbeiterin. „Zusammenhalt, Gemeinschaft und Solidarität funktionieren eben auch in einem Sicherheitsabstand von zwei Metern“, meint Norbert Mathy.
Einmal die Woche wird geliefert
Diese Welle der Hilfsbereitschaft erklärt sich Meurer-Schaffenberg mit der Krise: "Das Virus und die Situation lösen bei vielen Menschen ein Gefühl der Ohnmacht aus. Aktiv zu sein, Kraft und Zeit anzubieten, nimmt den Helfenden wahrscheinlich dieses Gefühl des Ausgeliefertseins und macht die Situation für sie erträglicher.“ Insgesamt seien es mehr Helfer, als sie annehmen könne. Denn auch bei der mobilen Form der Tafel müssten die Abstandsregeln und Hygienevorschriften, die für die Zeit der Corona-Pandemie gelten, eingehalten werden. "Wir arbeiten eng mit dem Landkreis und der Gesundheitsbehörde zusammen, um auszuloten was möglich ist."
Sobald klar war, dass die Tafel weitermachen würde, schrieb sie die Menschen an, die in jüngster Zeit zu ihnen gekommen waren. Die Adressen lagen dem Diakonischen Werk vor. 120 waren es. 70 hätten sich bisher zurückgemeldet. „Einmal die Woche fahren wir sie nun an; immer freitags.“ Auch dies ein Zugeständnis an die Pandemie, denn zwei Tafel-Termine in der Woche seien nicht leistbar.
Trotzdem seien sie bis auf mittwochs an jedem Werktag in Sachen Tafel unterwegs. „Immer ab 9 Uhr fahren wir mit dem Kühlwagen vier Märkte an“, berichtet sie. Im Privatwagen fahre ein weiterer Helfer hinterher. Wieder ein Zugeständnis an die Abstandsregeln in der Krise. Auch seien es üblicherweise zehn Geschäfte, die sie ansteuerten. Aber nun müssten sie schließlich die Mengen an Lebensmitteln mit einer deutlich kleineren Truppe bewältigen. Gemeinsam mit ihrem Hygienebeauftragten sortierten die Helfer im Anschluss an die Fahrt die Lebensmittel aus, die nicht mehr verwertbar sind. Dann komme alles ins Kühllager. Und freitags – nach einer weiteren Qualitätskontrolle – würden die Lebensmittel auf die Kisten für die 70 Tafel-Kunden verteilen.
„Jeden Tag helfen andere Leute“, sagt Meurer-Schaffenberg. Sie brauche diese Flexibilität, um reagieren zu können, falls jemand krank werde oder zur Arbeit müsse. Sie habe sogar eine Liste von Leuten, die einspringen, wenn es eng wird. Die 20-jährige Swantje Siemer vom Kirchenkreisjugenddienst gehört zu den Helfern: „Ich fand die Aktion so spannend, weil es was Neues ist, und ich so in meiner freien Zeit an etwas Sinnvollem mitwirken kann.“ Katrin, Joanna und Jens Briese wollten in diesen Tagen in den Ski-Urlaub starten. Eigentlich. Nun packen sie bei der Tafel mit an: „Es ist uns wichtig, dass die Tafel weiterhin funktioniert, dass Nahrungsmittel auch jetzt nicht weggeworfen werden müssen, und dass die Menschen, die sie brauchen, weiter verlässlich versorgt werden.“ Ähnlich sehen es Justine, Lorraine und Steffen Grimm. „So lange die Schulen, Gastronomie und all die anderen Betriebe geschlossen sind, habe ich genügend Helfer“, stellt Angelika Meurer-Schaffenberg fest.
Ausgestattet mit individuellen Routen-Plänen samt Hinweisen dazu, wo die Kisten abgestellt werden sollen, machen sich freitagmittags fünf Fahrer auf den Weg zu den Bedürftigen. „Ich habe Menschen getroffen, die uns voller Dankbarkeit und Erleichterung die Tür geöffnet haben; die entgegengebrachte Wertschätzung war teilweise emotional und anrührend“, berichtet Diakon Tony Sinke von seiner ersten Bring-Tour. Wie groß der Dank ist, verrät das Schreiben einer Tafel-Kundin an das Diakonische Werk: „Ich habe am Freitag meine erste Lebensmitteltüte erhalten. Ihr helft mir damit sehr. Danke an alle, die mithelfen, diese schwere Zeit einigermaßen gut zu überstehen.“
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