Schon das Eingangsstatement, das die Stadt Osterholz-Scharmbeck sich bei ihren Bürgern am Informationsabend zum Verkehrsentwicklungsplan abholte, war ausgesprochen aufschlussreich. Mit blauen Markierungspunkten auf der ersten Stellwand sollten die an der öffentlichen Bürgerbeteiligung im gut gefüllten Ratssaal Interessierten dokumentieren, mit welchem Verkehrsmittel sie gekommen waren und welches Verkehrsmittel wiederum sie besonders ins Visier genommen haben wollten. Ergebnis: Rund die Hälfte hatte das Auto in Anspruch genommen, und mit nur drei „Blauen“ wurde für diese Mobilitätsform besonderer Gesprächsbedarf angemeldet. Vor allem über Rad- und Fußwege dagegen sollte geredet werden, wie die Vergabe der Punkte unschwer erkennen ließ.
Das deckte sich mit der Erkenntnis, die die am Verkehrsentwicklungsplan arbeitende Projektgruppe nach Auswertung von Bestandsanalysen und Verkehrszählungen gewonnen hatte: Beim Radverkehr ist noch viel Luft nach oben. „Er ist unterrepräsentiert“, stellte Heinz Mazur von der „PGT - Umwelt und Verkehrsgesellschaft“, die den Plan mit Mitarbeitern der Stadtverwaltung und weiteren beteiligten Institutionen vorantreibt, kategorisch fest. Der Autoverkehr bildet zu den Spitzenzeiten Rückstaus an einigen Knotenpunkten, läuft aber insgesamt recht flüssig. Mazur zeigte dazu in seiner Präsentation Bilder von Straßen, die wie leer gefegt schienen. Beim öffentlichen Nahverkehr, so der die Geschäfte des Hannoverschen Unternehmens führende Diplom-Ingenieur, gelte es die Umsteigebeziehungen zu verbessern. Der kommunale Einfluss auf die Standards im ÖPNV sei aber überschaubar. Mazur: „Vier Fahrten am Tag – das ist eigentlich kein ÖPNV.“
2020 in die politische Beratung
Der Verkehrsentwicklungsplan ist ein Instrument, das dazu dient, für die zukunftsfähige Innenstadt alle Formen der Mobilität unter einen Hut zu bringen, so die Erklärung, die Bürgermeister Torsten Rohde an den Schluss seiner Anmoderation stellte. Fußgänger, Fahrradfahrer, Autofahrer oder ÖPNV-Nutzer – von ihrer „Schwarmintelligenz“ soll die Stadt profitieren. In den Arbeitskreisen sitzen neben Vertretern der Verwaltung und der sogenannten Baulastträger (zum Beispiel der für die Kreisstraßen zuständigen Behörde) sowie des Planungsbüros auch Polizisten und Lobbyisten wie jene des ADFC. Bauamtsleiter Frank Wiesner, der sich angetan zeigte von der Bereitschaft der Bürger zur Mitwirkung an dem Vorhaben, spricht von einem spannenden Prozess, „in dem wir alle Beteiligten mitnehmen wollen“. Er rechnet damit, dass 2020 ein konkreterer Entwurf vorliegt, der politisch beraten werden kann, ehe das Verfahren in die Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung eintritt. Die Bürger sollen via Online-Befragung noch eine weitere Gelegenheit erhalten, Wünsche zu äußern und Anregungen zu geben.
Wiesner, der nach dem Mazur-Vortrag mit den Bürgern an Themen-Tischen diskutierte, nahm von den kritischen Beträgen mit, dass Menschen sich mehr Sicherheit und Komfort für den Radverkehr wünschen. Dann würden sie dieses Verkehrsmittel auch häufiger nutzen. Dass gerade diese Gruppe besonders gefährdet im Verkehr sei, diesen Schluss würden die von Mazur referierten Unfallzahlen aber eigentlich nicht zulassen. Im Vergleich mit anderen Städten der Größe Osterholz-Scharmbecks seien sie nicht „auffällig“. Der relativen Sicherheit stehe das subjektive Sicherheitsgefühl gegenüber, das die Verkehrsentwicklungsplaner aber genauso auf dem Schirm hätten wie andere Aspekte, etwa den gewachsenen Anspruch hinsichtlich umweltpolitischer Zielsetzungen oder die Schulwegsicherheit. Mazur nannte als beispielhafte Lösungsansätze Schutzstreifen und die sogenannten Sharrows, mit denen man Verkehrslenkung im Sinne der Radfahrer betreiben könnte.
Bei diesen Orientierungshilfen handelt es sich um Piktogramme aus Fahrrad und Pfeilspitzen (sharrow, etwa ‚Teilhabepfeil‘, eine Zusammensetzung der englischen Wörter Shared und Arrow). Weitere Radwege sind dagegen in der Regel keine Option. „Die kriegen sie an vielen Hauptverkehrsstraßen nicht gebaut, weil die Breite der Fahrbahn das nicht hergibt. Und die Stadt abreißen wollen sie ja auch nicht.“
Während Auto- und Radfahrer also wohl oder übel zu einer friedlichen Koexistenz finden müssen, haben Fußgänger wiederum vor allem damit zu rechnen, dass von der Straße vertriebene Radfahrer auf den Gehweg ausweichen. E-Roller, auf denen Verkehrsminister Scheuer so gern posiert, müssten sie dagegen nicht sonderlich fürchten. Sie hätten aufgrund der in der Kreisstadt bevorzugten Pflasterung geringe Chancen.
Mazur stellte in seinem Vortrag eine ganze Reihe von interessanten Statistiken vor, die dem Rad zum Vorteil gereichen. Ein Fahrrad schlägt das Auto nicht nur beim Energie- und Ressourcenverbrauch, sondern fordert in dieser Gruppe verkehrsstatistisch auch weniger Todesopfer (bundesweit 400 gegenüber 3300 im Jahr). Wiesner fand vor allem den Hinweis auf den Platzverbrauch interessant. Zwei Quadratmeter für das Rad gegenüber zehn für das vierrädrige Vehikel. „Ein Radweg kann durchschnittlich 5900 Räder in der Stunde abwickeln, eine Straßenfahrspur schafft in derselben Zeit nur 1300 Kraftfahrzeuge“, hatte Mazur vorgerechnet.
Rohde sagte, dass Verkehr eines der wichtigsten Querschnittsthemen sei. Bei der zukunftsfähigen Gestaltung der Räume müsse dem demografischen Wandel Beachtung geschenkt werden. „8000 Menschen in Osterholz-Scharmbeck sind schon über 60 Jahre alt.“
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